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Inseln im Netz

Titel: Inseln im Netz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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im Ringkampf miteinander zu messen. Emerson geleitete die Delegation aus Singapur hinauf zum Konferenzraum, wo sie telefonieren und zu Hause melden konnten, daß sie heil und ganz angekommen waren.
    Niemand hatte die Grenadiner seit ihrer Ankunft am Tag zuvor gesehen. Trotz ihrer vagen Ankündigung hatten sie sich nicht im Ferienheim gemeldet. Zeit verging. Die anderen erblickten darin eine vorsätzliche Beleidigung und ärgerten sich bei ihren Getränken. Endlich trennten sie sich zum Abendessen. Die Singapurer aßen ihre mitgebrachte Nahrung in ihrem Zimmer. Die Europäer beschwerten sich energisch über die barbarische Tex-Mex-Küche. Mrs. Delrosario, die sich selbst übertroffen hatte, war den Tränen nahe.
    Endlich, nach Einbruch der Dunkelheit, tauchten die Grenadiner auf. Laura und Mrs. Emerson hatten sich bereits ernstlich Sorgen gemacht. Als Gastgeberin begrüßte Laura die beiden im Foyer. »Es freut mich, Sie zu sehen. Gab es irgendwelche Schwierigkeiten?«
    »Nein«, sagte Winston Stubbs und zeigte sein künstliches Gebiß in einem sonnigen Lächeln. »Ich - und ich - waren in der Stadt, wissen Sie. Und am anderen Ende der Insel.« In einem Andenkenladen hatte der alte Rastafarier einen Cowboyhut erstanden und auf seine graue, schulterlange Rattenschwanzfrisur gesetzt. Er trug Sandalen und ein exklusives Hawaiihemd.
    Sein Gefährte, Sticky Thompson, hatte einen neuen Haarschnitt. Seine Kleidung bestand aus einer langen Hose, langärmeligem Hemd und Sakko, und so sah er beinahe wie ein Rizome-Gesellschafter aus. Aber er konnte seine Natur nicht gänzlich verleugnen; sein Aussehen war beinahe aggressiv konventionell. Carlotta, das Kirchenmädchen, trug ein ärmelloses scharlachrotes Leibchen, einen kurzen Rock und schweres Make-up. Auf ihre bloße, sommersprossige Schulter war ein überlaufender Kelch tätowiert.
    Laura stellte den Grenadinern ihren Ehemann und das Heimpersonal vor. David schenkte dem alten Piraten sein bestes Gastgeberlächeln: freundlich und tolerant, hier bei Rizome sind wir alle bloß gewöhnliche Leute. Vielleicht übertrieb er es ein wenig, weil Winston Stubbs geradezu den Inbegriff des Piraten verkörperte. Liederlich. »Ich begrüße Sie herzlich in unserem Haus«, sagte David. »Und ich hoffe, Sie werden den Aufenthalt bei uns erfreulich finden.«
    Der alte Mann schaute skeptisch drein. David gab seine Förmlichkeit auf. »Frisch vor dem Wind«, sagte er versuchsweise.
    »Frisch vor dem Wind«, sagte Winston Stubbs sinnend. »Hab das seit vierzig Jahren nicht gehört. Sie mögen diese alten Reggae-Alben, Mr. Webster?«
    David lächelte. »Meine Eltern spielten sie, als ich ein Kind war«.
    »Ah, verstehe. Das sind Doktor Martin Webster und Grace Webster aus Galveston.«
    »Richtig«, sagte David. Sein Lächeln verblich.
    »Sie entwarfen dieses Ferienheim«, sagte Stubbs. »Sandbeton, erbaut mit Material vom Strand, nicht?« Er musterte David von oben bis unten. »Das Geheimnis ist die richtige Mischtechnik. Wir könnten sie auf den Inseln gebrauchen, Mann.«
    »Danke«, sagte David. »Das ist sehr schmeichelhaft.«
    »Wir könnten auch jemand für Public Relations gebrauchen«, sagte Stubbs und grinste schief zu Laura hin. Das Weiße in seinen Augen war rotgeädert, wie rissige Murmeln. »Unser Ruf könnte eine Politur vertragen. Ich - und ich - stehen unter Druck von babylonischen Ludditen.«
    »Versammeln wir uns alle im Konferenzraum«, sagte Emerson. »Es ist noch früh, noch Zeit genug für ein Gespräch.«
     
    Die Delegationen stritten zwei volle Tage lang. Laura nahm als Debra Emersons Sekundantin an den Konferenzzusammenkünften teil, und bald wurde ihr klar, daß Rizome ein gerade noch geduldeter Mittler war. Die Datenpiraten zeigten nicht das geringste Interesse daran, neue Karrieren als rechtlich denkende Mitglieder der postindustriellen Weltwirtschaft zu beginnen.
     
    Sie waren zusammengekommen, um sich mit einer Bedrohung auseinanderzusetzen.
    Alle drei Piratengruppen wurden erpreßt.
    Die Erpresser, wer sie auch sein mochten, zeigten gute Kenntnis und Beherrschung des Datengeschäfts und seiner Dynamik. Sie hatten die Spaltungen und Rivalitäten zwischen den verschiedenen Steueroasen geschickt ausgenutzt, eine Bank bedroht, dann das erpreßte Geld bei einer anderen angelegt. Die Steueroasen, denen an Publizität zuallerletzt gelegen war, hatten die Angriffe vertuscht. Über die Natur der räuberischen Übergriffe äußerten sie sich nur unbestimmt. Sie fürchteten,

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