Inseln im Netz
Überwachungsmechanismen im Inland zu entgehen?«
Sie ließ die beiden eine Weile darüber nachdenken. »Und es gibt tiefergehende Fragen, welche die ganze Struktur der modernen Welt beeinflussen. Was geschieht, wenn die Zukunftsindustrien mit ihren Vorreiterfunktionen in die Hände von Kriminellen fallen? Wir leben auf einer eng gewordenen Welt, und wir brauchen Kontrollen und Steuerungsinstrumente, und sie müssen wirksam sein. Andernfalls sickert Korruption ein.«
»Das sind schwierige Fragen«, sagte David nach längerer Überlegung. »Von der Warte aus betrachtet, erscheint die Situation hoffnungslos.«
»Die Abrüstungsfrage sah auch einmal hoffnungslos aus«, sagte Emerson. »Aber inzwischen sind die Arsenale verschwunden.« Sie lächelte. Immer dasselbe alte Argument, dachte Laura. Die Generation aus den 50er und 60er Jahren ging seit Ewigkeiten damit hausieren. Vielleicht sahen sie darin eine Rechtfertigung der Tatsache, daß sie noch immer an den Schalthebeln der Macht waren. »Aber die Geschichte bleibt niemals stehen. Die moderne Gesellschaft sieht sich einer neuen zentralen Krise gegenüber. Wollen wir den Weg der Entwicklung zu vernünftigen menschlichen Zielen lenken? Oder soll alles in eine Laissez-faire-Anarchie münden?«
Emerson verputzte ihren letzten Chili Rellenos. »Das sind wichtige Fragen. Wenn wir in einer Welt leben wollen, die wir wiedererkennen können, werden wir darum kämpfen müssen. Wir von Rizome müssen unseren Teil dazu beitragen. Und das tun wir. Hier und jetzt.«
»Das hört sich recht gut an«, sagte David, »aber ich kann mir denken, daß die Piraten es anders sehen.«
Sie lächelte. »Gewiß werden wir ihre Version früh genug zu hören bekommen. Aber vielleicht werden wir den Herrschaften mit ein paar Überraschungen aufwarten können. Die Steueroasen werden auch von multinationalen Unternehmen alten Stils benutzt. Aber eine wirtschaftliche Demokratie ist von anderer Art. Das müssen wir ihnen vor Augen führen. Selbst wenn es für uns ein gewisses Risiko bedeutet.«
David runzelte die Stirn. »Rechnen Sie ernstlich damit, daß sie etwas versuchen werden?«
»Nein. Sollten sie sich schlecht benehmen, werden wir einfach die örtliche Polizei rufen. Es wäre skandalös für uns - schließlich handelt es sich um eine sehr vertrauliche Zusammenkunft -, aber ein schlimmerer Skandal für sie.« Sie legte Messer und Gabel säuberlich nebeneinander auf den Teller. »Wir wissen, daß es ein kleines Risiko gibt. Aber Rizome hat keine Privatarmee. Keine Sicherheitsleute mit Sonnenbrillen und Aktenkoffern, in denen Pistolen und Handgranaten sind. Das ist nicht mehr der Stil.« Sie richtete ihren Blick auf Laura. »Wir müssen für diesen Luxus der Unschuld allerdings bezahlen. Weil wir niemanden haben, der uns unsere Risiken abnimmt. Wir müssen die Gefahr auf die Rizome-Gesellschafter verteilen. Jetzt sind Sie an der Reihe. Das verstehen Sie, nicht wahr?«
Laura dachte darüber nach. »Das Los fiel auf uns«, sagte sie schließlich.
»Genau.«
»Wie das Leben so spielt«, sagte David. Und so war es.
Die Unterhändler hätten alle zur gleichen Zeit und zu gleichen Bedingungen im Ferienheim eintreffen sollen, aber soviel Vernunft hatten sie nicht. Statt dessen versuchten sie einander auszustechen.
Die Europäer waren vorzeitig gekommen - es war ihr Versuch, den anderen zu zeigen, daß sie den Rizome-Schiedsrichtern nahestanden und aus einer Position der Stärke verhandelten. Aber sie begannen sich bald zu langweilen und waren mürrisch und voller Argwohn.
Emerson war noch damit beschäftigt, sie zu besänftigen, als die Delegation aus Singapur eintraf. Auch sie bestand aus drei Unterhändlern: einem betagten Chinesen namens Mr. Shaw und zwei malaiischen Landsleuten. Mr. Shaw war ein kahlköpfiger, wortkarger Mann in einem zu großen Anzug. Die beiden Malaien trugen schwarze, vorn und hinten zugespitzte Songkakhüte mit dem aufgenähten Firmenzeichen der Islamischen Bank Yung Soo Chim. Die Malaien waren Männer mittleren Alters, sehr nüchtern, sehr würdevoll, aber nicht wie Bankiers, sondern wie Soldaten. Sie hielten sich sehr gerade, und ihre Augen waren in ständiger Bewegung - Sie brachten Berge von Gepäck mit, darunter eigene gesicherte Satellitentelefone und einen Tiefkühlbehälter voll folienversiegelter Fertiggerichte.
Emerson machte die Vorstellungen. Karageorgiu funkelte aggressiv, Shaw gab sich hölzern und hochmütig. Die Begleiter schienen bereit, sich
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