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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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Kirchsprengel, mit deren Familien die Dunmores näher bekannt waren.
    Elizabeth wusste später nicht mehr, woran sie – abgesehen von diesen Todesfällen – auf dem Weg zur Kapelle gedacht hatte. Auch die Aussegnung erlebte sie in einem eigentümlichen Zustand der Losgelöstheit, sie blickte nicht einmal auf, als Reverend Martin während seiner Predigt persönliche Worte des Mitgefühls an die Angehörigen des Verstorbenen richtete.
    Wie erwartet war der Friedhof von St. Michael schwarz vor Menschen. Nach dem Gottesdienst scharten sie sich mit gesenkten Köpfen um das ausgehobene Grab und sahen zu, wie der Sarg in die Erde gesenkt wurde. Die Männer hatten die Hüte abgenommen, die Frauen die Hände gefaltet.
    Martha hatte ihre Stimme teilweise wiedergefunden, sie schluchzte ungehemmt, es klang wie das erstickte Quieken eines gemarterten Tiers. Harold, das Gesicht kantig erstarrt, stützte seine zitternde Frau, und an der anderen Seite hatte Elizabeth sie untergefasst. Die Sonne stand ungünstig, sie stach ihr trotz des Huts ins Gesicht und blendete sie, sodass sie, als sich ringsumher weitere Schluchzlaute erhoben, die aus unterschiedlichen Frauenkehlen kamen, nicht erkennen konnte, wer dort alles um ihren toten Ehemann weinte.
    Felicity stand hinter ihr, sie hatte den Kleinen auf dem Arm, dem sie einen winzigen schwarzen Anzug angezogen hatten, dazu ein schwarzes Hütchen, dem tragischen Anlass angemessen. Er heulte zum Steinerweichen, schon deshalb, weil seine Großmutter weinte. Schließlich streckte er die Arme nach seiner Mutter aus. Elizabeth nahm ihn und war froh, ihre Schwiegermutter loslassen zu können. Sie hielt Jonathan so, dass sie ihr Gesicht hinter ihm verstecken konnte, worauf er beide Ärmchen um ihren Hals schlang und sich verängstigt an sie schmiegte.
    Auf der anderen Seite des Grabs sah sie in der zweiten Reihe der Trauernden die Noringhams stehen. Lady Harriet war verschleiert, Anne sah in ihrem Trauergewand wie eine magere dunkle Spitzmaus aus. William, groß und schlank, machte wie immer eine gute Figur, daran konnte auch die wenig kleidsame Tracht nichts ändern. Unruhig drehte er den Hut in seinen Händen und blickte auf den Sarg hinab, auf den Reverend Martin soeben eine Schaufel voller Erde fallen ließ.
    » Aus der Erde sind wir gekommen, zur Erde kehren wir zurück. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen. Gelobt sei der Name des Herrn.«
    Martha stieß einen rauen Schrei aus, gleichzeitig brach sie an Harolds Seite zusammen. Er hatte beide Hände voll zu tun, sie aufrecht zu halten, während weitere Erde auf den Sarg polterte. Irgendwann war das letzte Amen gesagt, und nach und nach löste sich die Ansammlung der Trauergäste auf. Es war vorbei.
    30
    W ährend Robert unter die Erde gebracht wurde, schien auf der Plantage der Dunmores alles seinen gewohnten Gang zu gehen.
    Akin spannte seine Muskeln an und pumpte mit tiefen Atemzügen Luft in seine Lungen. Die Machete lag ruhig und sicher in seiner Hand, so wie immer, wenn er Rohr schnitt. Stängel um Stängel, einen nach dem anderen. Er hieb sich so mühelos durch das grüne Dickicht, als wäre es Wasser, das vor ihm zurückwich. Die scharfen Kanten der Schnittstellen und Blätter stachen in seine Hände und Unterarme, doch die Wunden, die davon zurückblieben, spürte er schon lange nicht mehr. Der grüne Wald, fast doppelt so hoch wie er selbst, wiegte sich in geheimnisvollem Rascheln, als berge er die Antwort auf alle Fragen. Die Männer neben ihm arbeiteten in stoischem Gleichmaß weiter, die Köpfe die meiste Zeit gesenkt, bis auf jene, die die Sprache der Trommeln verstanden. Diese sahen öfters zu ihm hin, vergewisserten sich mit fragenden Blicken, dass er das Zeichen geben würde.
    Und dann war es so weit. Der Aufseher stand am Rande des Felds und ließ sich von einem Schwarzen ablenken, der das Rohr zu weit oben abschnitt. Er zog die Peitsche heraus. Das laute Klatschen des Leders auf dem schwarzen Rücken, das gequälte Stöhnen. Die Zeit war gekommen. Akins markerschütterndes Geschrei war das Zeichen.
    Wie ein Mann stürzten sich alle gleichzeitig auf den Aufseher. Derjenige, dem er gerade noch die Peitsche zu schmecken gegeben hatte, war schneller als die Übrigen. Er packte die Machete, die er auf Geheiß des Aufsehers hatte weglegen müssen, und sprang auf seinen Peiniger zu. Dieser hatte gerade noch Gelegenheit, einen Fluch auszustoßen, bevor ihm das Messer in den

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