Inseln im Wind
durch die sonnenverbrannten Ebenen von Oyo. Die Stimme seines Vaters, die nach ihm rief. Das übermütige Lachen seiner Brüder, wenn sie abends beim Feuer saßen. Seine Heimat, verraten von den eigenen Herrschern. Nein, sein Zuhause gab es nicht mehr. Doch er würde sich ein neues untertan machen. Die Orisha waren überall, und der Tag der Freiheit war nah.
31
H arold raste vor Wut, als er die Nachricht von dem Sklavenaufstand erhielt. Zwei der Schuldknechte von Rainbow Falls hatten sich unverzüglich nach Bridgetown aufgemacht. Im Laufschritt kamen sie bei Dunmore Hall an, keuchend und in Schweiß gebadet.
» Der große Schwarze«, japste der ältere der beiden, der nur noch ein halbes Jahr Schulddienst vor sich hatte. » Er ist der Anführer!«
Harold stand vor ihm, bleich bis unter die Haarwurzeln. Der Kontrast zu seinem schwarzen Wams ließ ihn fast aussehen, als sei alles Leben aus ihm gewichen. Seine Hand hatte den Peitschengriff umfasst, die Fingerknöchel waren weiß vor Anspannung, aber er beherrschte sich, denn es war offenkundig, dass der Schuldknecht keine Strafe verdiente, sondern Anerkennung.
» Berichte genau, was geschehen ist«, herrschte er den Arbeiter an.
» Wir waren bei der Ernte. Der Aufseher hat einen der Neger gepeitscht. Da hat dieser Akin losgebrüllt, und der, den der Aufseher schlug, schnappte sich die Machete und hat ihn erledigt. Dann sind alle auf ihn los, haben ihn von oben bis unten aufgeschlitzt und auf ihn eingehackt. Aber ich hab ihn noch röcheln hören.« Hoffnungsvoll fügte der Arbeiter hinzu: » Vielleicht lebt er noch.«
Der andere Schuldknecht schüttelte den Kopf. » Der nicht.« Atemlos fuhr er fort: » Akin sagte, wir sollen mit ihm kämpfen oder abhauen. Wir sind lieber abgehauen. Wir haben noch die Jungs bei der Mühle gewarnt, dann sind wir losgerannt und sofort hierher.«
» Lasst euch in der Küche was zu trinken geben«, befahl Harold ihnen, während er bereits davoneilte, um so viele von seinen Männern wie möglich zusammenzutrommeln. Zwei Diener sandte er aus, um die im Ort lebenden Plantagenbesitzer zu benachrichtigen. Unruhig ging er im Hof auf und ab und wartete auf ihr Eintreffen.
Vor diesem Tag hatte er sich immer gefürchtet. Er hatte es sich stets zugutegehalten, selbst ein Auge auf seine Besitztümer zu haben. Er hatte Verantwortung übernommen und trug sie auch, egal, welche Mühe es kostete. Ganz anders hielten es die übrigen Pflanzer, die aus Angst vor Aufständen und Abneigung gegen ihre Schwarzen lieber unter ihresgleichen in Bridgetown blieben und es den Aufsehern überließen, die Sklaven zu schinden und den Zucker einzubringen. Faul und behäbig saßen sie in ihren Stadthäusern und stopften sich die fetten Bäuche voll. Er dagegen schuftete sich sechs Tage in der Woche ab und gönnte sich keine Ruhe außer an den Sonntagen. Es kam ihn hart an, sie ins Bild zu setzen. Wäre es nach ihm gegangen, hätte er sich nicht darum geschert, was aus ihren Pflanzungen wurde.
Doch so sehr es ihn auch verdross, er konnte diesem Wunsch nicht nachgeben. Ohne die Hilfe einer ausreichenden Anzahl bewaffneter Männer würde sich dieser Aufstand nicht niederschlagen lassen. Er war davon überzeugt, dass Akin keine halben Sachen machte. Der Sklave würde die Waffen aus dem Haus holen und wissen, wie man damit umging. Einmal hatte Harold den Schwarzen dabei ertappt, wie er dem Aufseher aufmerksam beim Reinigen und Laden der Büchse zusah. Das hatte ihm zehn Hiebe eingetragen, die er klaglos ausgehalten hatte, so wie alle anderen Schläge davor und danach auch. Harold hatte den Mann in gewisser Weise dafür bewundert. Stärke, bei ihm selbst und anderen, war in seinen Augen eine Eigenschaft, die höchsten Respekt verdiente. Es gab nur wenige Menschen, die er, was das betraf, als ebenbürtig anerkennen konnte.
Harriet war ein solcher Mensch. Ihr Sohn ebenfalls, wenngleich ohne ihre Beharrlichkeit. Außerdem dieser verdammte Pirat, Duncan Haynes, der seinen stählernen Willen jederzeit hinter einem Grinsen verbergen konnte. Und natürlich Elizabeth. Sie war stärker als alle zusammen, vielleicht sogar stärker als er selbst. Ihre Vitalität und ihr unbändiger Eigensinn schienen ihm manchmal so bezwingend, als sei sie von einer Aura umgeben.
Während er an sie dachte, spürte er ihre Blicke. Es war ein seltsames, fast unheimliches Gefühl, über das er sich manchmal wunderte, doch er hatte es aufgegeben, darüber nachzudenken. Zögernd drehte er sich um
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