Inseln im Wind
Ziegen, und auf einem umfriedeten Hof pickten Hühner. Daneben stand eine Hütte mit einer kleinen Veranda, auf der eine fette dunkelhaarige Frau saß – Miranda, Jonathans Amme. Ihr Mann war Tabakpflanzer, die beiden bewirtschafteten eine winzige Plantage und züchteten nebenher Kleinvieh, das sie an Markttagen in der Stadt verkauften.
Elizabeth saß ab, band Pearl im Schatten einer Palme an und ging hinüber zu Miranda. Sie grub in ihrem Beutel und fand ein paar Münzen, die sie der Frau gab. Die Portugiesin schob das Geld in ihren Ausschnitt und bleckte lächelnd die Zähne.
» Rum?«, fragte sie.
Elizabeth schüttelte dankend den Kopf. Sie hockte sich neben Miranda auf die Stufen der Veranda.
» In St. James gibt es einen Sklavenaufstand, möglicherweise breitet er sich aus. Ihr solltet vorsichtig sein, du und dein Mann.«
Mit einem Mal merkte sie, wie müde sie war. Sie blieb noch eine Weile stumm bei Miranda sitzen und blickte aufs Meer hinaus. Die Sonne war weiter nach Westen gewandert und stand deutlich tiefer als bei ihrem Aufbruch, doch Elizabeth hatte jedes Zeitgefühl verloren. Irgendwann erhob sie sich, verabschiedete sich von Miranda und ging zu Pearl. Als sie aufsaß, spürte sie wieder ihre Erschöpfung und beschloss, bald umzukehren. An einem anderen Tag, zu einer früheren Stunde, wäre sie weiter geritten, vielleicht sogar bis zu der rauen Felsenküste im Osten der Insel, wo sich die wilde Brandung des Atlantiks auftürmte.
Sie trank aus dem mitgeführten Wasserschlauch und lenkte Pearl schließlich durch eine Gruppe windzerzauster Palmen hinab zum Strand, wo eine winzige Bucht einen verlockenden Anblick bot. Der feine weiße Sand dort wies den Hauch einer Rosatönung auf, entweder von der tief stehenden Sonne oder vom Korallenkalk, der die Insel mit dem Meeresboden verband. Die Wellen schlugen schäumend an das sanft abfallende Ufer. Elizabeth legte Pearls Zügel um einen der Felsen, von denen die kleine Bucht eingerahmt wurde. Sie tätschelte der Stute die Kruppe, bevor sie sich kurz entschlossen auszog und ins Wasser watete. Es war köstlich erfrischend, obwohl es kaum kühler war als die Luft. Sie stürzte sich in die Brandung, schwamm gegen den Widerstand der Wellen ein Stück hinaus und legte sich dann auf den Rücken, um sich treiben zu lassen. Der Himmel direkt über ihr war von tiefem, sattem Blau, das nach Westen hin in feuriges Rot überging. Vage fragte sie sich, ob es irgendwo auf der Welt ein paradiesischeres Land gab als dieses hier. England mit seinen endlosen trüben Wintern und den vielen Regentagen im Sommer war so anders als das sonnenverwöhnte Barbados, dass ihr die alte Heimat mittlerweile schon fast fremd vorkam, wenn sie an sie dachte. Wieder einmal versuchte sie sich daran zu erinnern, wie sich der eisige Wind auf ihrer Haut angefühlt hatte, der kalte Regen in ihrem Haar und die durchgefrorenen Glieder nach einem winterlichen Ausritt. Sie versuchte ihre Liebe zur Landschaft ihrer Jugend heraufzubeschwören, rief sich ins Gedächtnis, dass Raleigh Manor ihr Zuhause war, dass allein dort ihre Wurzeln lagen. Doch dann sah und roch sie um sich herum den rauschenden Ozean und fühlte sich eins mit dieser magischen Tropenwelt, die sie seit ihrer Ankunft auf der Insel unrettbar in ihren Bann geschlagen hatte.
Sie hielt den Atem an und tauchte hinab in die klaren Tiefen. Verzerrt durch die Unterwasserperspektive sah sie die bizarr verzweigten Korallen am Meeresgrund und zwischen ihnen wogende, vielfarbige Pflanzen. Ein Schwarm kleiner, leuchtender Fische flitzte heran, blieb wie festgezaubert über der Korallenbank stehen, huschte weiter. Eine Schildkröte, groß wie ein Fass, schwebte majestätisch vorüber.
Elizabeth blieb unten, bis ihr die Lungen zu platzen drohten, entzückt von der wundersamen bunten Vielfalt, die sich ihr darbot. Widerwillig stieg sie schließlich wieder empor und streckte prustend den Kopf aus dem Wasser. Sie watete an Land, sich wie ein übermütiger junger Hund schüttelnd, sodass die Tropfen in einem Schauer nach allen Seiten flogen. Mit beiden Händen drückte sie sich die Nässe aus den Haaren, dann holte sie Kamm und Bürste aus der Satteltasche. Sie hatte sich angewöhnt, beides ständig mitzuführen, wenn sie schwimmen ging, ebenso wie ein Tuch zum Abtrocknen. Sie kämmte sich das nasse Haar, rubbelte ihren Körper mit dem Tuch ab, zog ihr Unterkleid über und legte sich auf einen flachen, sonnenwarmen Felsen. Ein wenig Zeit zum Ausruhen
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