Inseln im Wind
Auch aus dem Zimmer drang Alkoholdunst. Offensichtlich hatte Martha sich schon eine Weile am Rum gütlich getan.
» Wo willst du hin?«, fragte Martha mit schwerer Zunge.
Elizabeth zögerte, denn mit einem Mal kam sie sich pietätlos und hartherzig vor, doch dann sagte sie entschlossen: » Ich reite aus. Wenn ich keine frische Luft kriege, werde ich verrückt.«
Zu ihrem Erstaunen nickte Martha.
» Ja, reite nur. Reite weit weg. Reite ihm davon.«
» Wem?«, fragte Elizabeth verunsichert. » Robert? Aber …« Sie verstummte betreten.
» Robert?«, wiederholte Martha ein wenig lallend. » Ja, Robert. Du bist nicht gut für ihn. Für niemanden. Du hast Unheil über uns gebracht. Geh fort und lass uns in Frieden.«
Abrupt hob sie die Hand, als wollte sie ihre Schwiegertochter schlagen, und unwillkürlich fuhr Elizabeth zurück, doch Martha fasste lediglich nach der Tür und schlug sie mit einem Knall wieder ins Schloss.
Vergeblich versuchte Elizabeth, das Gefühl von Verlorenheit und Einsamkeit niederzukämpfen. Ihr war erst wieder ein wenig wohler, als sie im Sattel saß und mit dem Wind über das Land jagte. Wie üblich folgten ihr neugierige Blicke, sie spürte die Missbilligung der Leute deutlicher als sonst. Aber vielleicht bildete sie es sich auch nur ein. Sie sollte aufhören, so viel auf die Meinung anderer zu geben. Ihr konnte nichts geschehen, außer, dass sie schief angesehen wurde. Doch dann dachte sie an die Frau, die man im Vorjahr wegen Ehebruchs bestraft hatte. Sie war jung und lebenshungrig gewesen, ihr Mann dagegen alt und hässlich und obendrein gewalttätig. Sie hatte aus der von ihren Eltern arrangierten Ehe flüchten und mit ihrem Liebhaber durchbrennen wollen. Die beiden hatten schon ihre Habe auf einen portugiesischen Frachter geschmuggelt, aber ihr Mann hatte sie vor dem Auslaufen des Schiffs aufgespürt und vor den Richter gezerrt. Das Urteil war hart ausgefallen, der Frau wurde das Haar geschoren und eine Schandmaske übergestülpt. Einen ganzen Tag lang hatte sie so in der prallen Sonne am Pranger gestanden, höhnischen wie mitleidigen Blicken preisgegeben. Mittlerweile war sie tot. Sie hatte im letzten Frühjahr eine Fehlgeburt erlitten, an der sie gestorben war. Es gab Gerüchte, ihr Mann habe sie, ohne Hilfe zu holen, verbluten lassen.
Elizabeth wollte nicht daran denken, doch sie konnte nicht anders. Ob man sie ebenfalls bestraft hätte, wenn man sie mit Duncan erwischt hätte? Aber hätte man dann nicht auch Robert bestrafen müssen? Allerdings war ihr noch nie zu Ohren gekommen, dass man einen Mann wegen Ehebruchs angeklagt hätte. Wie auch immer, sie war noch einmal davongekommen. Doch nur, was eine öffentliche Verurteilung anging. Dass sie ihren Mann kurz vor seinem Tod zurückgewiesen hatte, blieb als belastende Erinnerung bestehen, und diese wiederum verband sich mit ihren ehebrecherischen Fehltritten zu einem unauslöschlichen Bild der Schande. In der vergangenen Nacht war sie immer wieder aus Albträumen hochgeschreckt, in denen Robert sie anflehte, ihn doch zu lieben. Jedes Mal wies sie ihn wütend zurück, und wenn sie sich danach von ihm abwandte, kam er von der anderen Seite erneut auf sie zu, diesmal jedoch als Toter. Blut sickerte aus dem nassen blonden Haar, die hellen Augen waren wie gefrorenes Glas und blickten ihr bis auf den Grund ihrer Seele. » Was hast du getan?«, fragte er klagend. » Warum hast du mich alleingelassen? Es ist nur deine Schuld! Deinetwegen musste ich sterben!«
Sie war keuchend aufgewacht, hatte sich herumgeworfen und die Fäuste gegen ihre Lider gepresst, doch sie hatte seinen Anblick nicht bannen können. Dann wieder hatte sie Träume von Duncan gehabt, in denen er sie genommen hatte, und während sie sich ihm hingab, hatte sie nicht vor Panik gekeucht, sondern vor Lust, doch das brennende Gefühl der Scham, das beim Aufwachen zurückblieb, verschlimmerte ihr Elend nur.
Sie drückte Pearl die Fersen in die Flanken, als sie offenes Gelände erreichte. Ihr Ausritt führte sie an Oistins vorbei, einer Ansammlung schäbiger Hütten im Süden, kaum genug, um als Dorf bezeichnet zu werden. In unmittelbarer Strandnähe gab es ein paar Schuppen, in denen Tabak getrocknet wurde, einen Bootsausleger und wie in jedem Nest auf der Insel die obligatorische Schänke, in der sich die Pflanzer und freien Arbeiter aus der näheren Umgebung zum Zechen und Würfeln trafen.
In einem kleinen Pferch am Rande der Ansiedlung graste ein halbes Dutzend
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