Inseln im Wind
aufwachen, und wenn ich nicht sofort zu ihr gehe, sobald sie ruft, kommt sie aus ihrem Zimmer.«
» Ich möchte dich heute noch einmal sehen. Allein.«
» Ich weiß nicht, ob …«
» Mach es möglich. Ich habe einiges mit dir zu bereden. Es ist wichtig. Komm in zwei Stunden.« Er nannte ihr die Stelle, wo er sie treffen wollte, dann küsste er sie auf die Schläfe. » Lass mich nicht warten.«
» Es geht nur, wenn Felicity bis dahin wieder da ist.«
» Wo ist sie denn?«
» Sie verabschiedet sich von Niklas Vandemeer.«
» Dann ist sie spätestens in einer Stunde wieder hier. Er lässt die Eindhoven schon zum Auslaufen klarmachen, damit er rechtzeitig wegkommt. Die Navy fackelt nicht lange. Die Holländische Westindienkompanie tut derzeit gut daran, der Admiralität nicht in die Quere zu kommen.«
Sacht streichelte er dem Kleinen über das Haar. Die Löckchen fühlten sich warm und flaumweich unter seinen Fingern an.
» Bis nachher«, sagte er zu Elizabeth, bevor er auch ihr übers Haar strich und sie dann widerstrebend verließ. Auf dem Weg zur Pforte passierte er die geschwungene Doppeltreppe, die von der Halle hinauf zu der Galerie im Obergeschoss führte. Dort oben hinter den geschnitzten Verzierungen des Geländers stand schwankend eine traurige Gestalt, geisterhaft anmutend in dem zerknitterten weißen Hemd. Es war Martha Dunmore. Sie blickte zu ihm herab, schien zuerst durch ihn hindurchzusehen, dann fixierte sie ihn mit starrem Blick.
» Was wollt Ihr?«, fragte sie klagend.
Duncan beeilte sich, dass er fortkam.
36
E lizabeth nahm den Kleinen mit zu Martha ins Zimmer. Sie drückte ihm ein Spielzeugschiff in die Hand und setzte ihn in die Ecke, damit sie Martha beim Waschen und Umkleiden helfen konnte. Jonathan wurde es rasch langweilig, mit seinen fast zwei Jahren besaß er einen ausgeprägten Bewegungsdrang und wollte stets Neues entdecken. Er stemmte sich hoch, warf das Holzschiff zur Seite und kam an den Waschtisch, um bei der Körperpflege zuzusehen.
» Grandma«, sagte er, auch eines von seinen neuen Wörtern.
Martha nahm es gar nicht wahr. Sie stand vor dem Spiegel und starrte sich an, ein Gespenst mit umflorten Augen und aufgedunsenen Zügen, das Hemd bis zur Taille hinabgezogen, ihr Oberkörper mit den schlaffen, bis zum Bauch hängenden Brüsten entblößt. Sie hatte seit Roberts Tod viel an Gewicht verloren, von ihrer einstigen Leibesfülle war nichts geblieben. Um den Hals trug sie eine breite Goldkette, die sie selten ablegte – sie hatte sie von Harold zur Hochzeit bekommen. Das glänzende Gold auf der welken Haut wirkte beklemmend. Gedankenverloren schlang Martha die Kette um ihre Finger und musterte Elizabeth im Spiegel.
» Gehst du fort?«, fragte sie tonlos.
Elizabeth erschrak. Ihre Hand mit dem wassergetränkten Waschlappen erstarrte mitten in der Bewegung.
» Was meinst du?«
» Ich habe dich gesehen. Mit dem Kapitän. Er will dich mitnehmen, oder?«
» Martha, ich …« Elizabeth stockte, denn Martha packte unversehens ihre Hand und drehte sie herum, sodass Elizabeth durch den unerwartet schmerzhaften Zugriff gezwungen war, den Lappen in die Schüssel fallen zu lassen. Wasser spritzte hoch und benetzte ihr Kleid und ihr Gesicht. Die trübe Brühe schmeckte seifig, sie widerstand nur mit Mühe dem Impuls, angewidert auszuspucken.
» Du warst nie gut für ihn«, sagte Martha. Sie sprach seltsam teilnahmslos, doch ihre Stimme klang weder trunken noch unsicher. Sie hatte seit dem frühen Morgen kein Laudanum bekommen und musste daher halbwegs bei sich sein. » Anfangs dachte ich, er könnte sich vielleicht ändern«, fuhr Martha in derselben monotonen Sprechweise fort. » Um sich deine Wertschätzung zu verdienen. Aber das geschah nicht. Er blieb, wie er schon immer war. Du hast es nicht hingekriegt, ihn zu bessern.«
» Nein. Ich hab es nicht hingekriegt.«
» Er musste so weitermachen wie früher. Weil er nicht anders konnte.«
» Ich weiß.«
» Das liegt daran, weil er sich nie geliebt gefühlt hat«, fuhr Martha fort, als sei Elizabeth gar nicht anwesend. » Das war schon immer so. Ich hab weiß Gott mein Bestes gegeben, aber das hat nicht gereicht.«
» Jeder weiß, wie sehr du Robert geliebt hast!«, widersprach Elizabeth.
» Grandma lieb«, sagte Jonathan. Er zog an Marthas Hemd, weil es auf dem Boden schleifte und sich daher zum Spielen anbot. Martha bewegte sich nicht und ließ zu, dass der Kleine sich einen Zipfel griff und so lange daran riss, bis das
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