Inseln im Wind
Hemd um ihre Knöchel lag.
» Lass das«, sagte Elizabeth ungewohnt scharf, während sie Martha wieder bedeckte. Der Kleine blickte sie gekränkt an, doch sie schob ihn zur Seite und drückte ihm sein Schiff in die Hand. » Spiel mit dem Schiff«, sagte sie.
» Ich hatte früher so viel Liebe in mir«, sagte Martha, sich ohne Unterlass im Spiegel betrachtend. Ein versonnener Ausdruck trat in ihr Gesicht, mit einem Mal wirkte sie verändert, beinahe lebhaft. Sie schien sich an vergangene Zeiten zu erinnern. » Mein Herz schäumte förmlich über davon. Edward – er war mein Leben.«
» Edward?«, fragte Elizabeth verunsichert.
» Aber ja. Er war alles für mich. Als er starb, wollte auch ich nicht mehr sein. Meine Sachen waren schon gepackt, ich wollte nur noch heim. Aber dann kam Harold und meinte, dass wir uns zusammentun sollten.« Sie zog die Schultern hoch, die welke Haut an ihren Oberarmen zitterte.
Elizabeth begriff. Edward musste Marthas erster Mann gewesen sein. Er war gestorben, und danach hatte sie Harold geheiratet. Robert hatte ihr einmal davon erzählt, wenn auch eher beiläufig. Elizabeth hatte sich nicht genug dafür interessiert, um weiter nachzufragen. Ihr kam ein Verdacht. » War Robert Edwards Sohn?«
» Natürlich nicht.« Martha lächelte breit, wie über einen guten Witz. Es sah schaurig aus, weil ihre Lippen so ausgetrocknet und rissig waren und ihre Zähne schadhaft.
» Mommy«, quengelte Jonathan. Er hatte Elizabeths Rockzipfel umfasst und zog daran. Dann streckte er die Arme nach ihr aus. » Johnny Arm!«
Sie nahm ihn hoch, setzte ihn auf ihre Hüfte und küsste ihn geistesabwesend auf die Wange, während er ihr das Haar zerzauste.
» Eines Nachts«, vertraute Martha ihr mit starrem Lächeln an, » wurde große Schande über mich gebracht. Edward war noch kein Jahr tot. Ich war gerade dabei, alles zu verkaufen. Die Plantage, die Schuldkontrakte von unseren Arbeitern, die ganze Ernte. Einfach alles. Damit ich heimfahren konnte, nach England. Harold meinte, ich solle nicht fortgehen, sondern ihn zum Mann nehmen. Unsere Ländereien grenzten aneinander, und er fand, dass wir gut zusammenpassten. Doch ich sagte Nein, denn ich wollte zurück nach Hause. Eines Nachts kamen die Männer. Sie waren zu dritt. Zwei Iren und ein Schotte, entflohene Schuldknechte. Sie fielen über mich her.« Martha lachte, es klang wie das Knirschen von Sand auf Holz. » Es dauerte die ganze Nacht, bis sie mit mir fertig waren.« Martha schaute sich mit verschleierten Augen im Spiegel an. » Danach hab ich Harold geheiratet. Wegen der Schande. Und weil das Leben weitergeht. Und weil er es wollte.« Sie fing an zu summen. » Dann kam Robert. Das Schlechte war ihm in die Wiege gelegt. Es war in seinem Blut. In seinem fremden, bösen Blut.«
» Oh Gott«, sagte Elizabeth. Bestürzt betrachtete sie ihre Schwiegermutter im Spiegel. » Ich dachte, du hast Robert geliebt!«
» Geliebt habe ich immer nur Edward. Oh, wie sehr habe ich ihn geliebt!« Martha wiegte sich vor und zurück.
» Aber als Robert starb …«
» Da weinte ich um Edward. Und über die Schande, die mir nach seinem Tod widerfahren ist. Ich habe einfach die Gelegenheit genutzt, mir alles von der Seele zu weinen, verstehst du?«
Jonathan patschte Elizabeth ungeduldig mit beiden Händchen ins Gesicht.
» Mommy, Johnny essen.«
» Ja«, sagte sie mechanisch. » Wir gehen gleich in die Küche. Sicher macht Rose uns noch was zurecht.« Zu Martha sagte sie: » Du musst auch essen. Bestimmt hast du Hunger.«
» Ich will Laudanum«, sagte Martha klagend.
» Wir werden sehen«, sagte Elizabeth ausweichend. Zusammenhanglos fügte sie hinzu: » Wusste Harold davon, dass Robert nicht sein …?« Sie konnte die Frage nicht beenden, eine seltsame Scheu hinderte sie daran.
Martha legte sich den Finger auf die Lippen.
» Pst. Darüber reden wir nicht. Das dürfen wir niemals verraten.«
Jonathan fühlte sich zum Nachahmen animiert. Er drückte sich einen Finger vor den Mund. » Pst.« Martha blickte den Kleinen an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Dann nahm sie Elizabeths Hand in ihre und drückte sie mit unerwarteter Kraft.
» Martha …«, begann Elizabeth irritiert.
» Still. Hör mir zu.« Mit seltsamer Eindringlichkeit starrte Martha sie an. » Du musst fort von hier. Zögere nicht.«
» Aber warum …«
» Zögere nicht«, wiederholte Martha. Ihr Griff erschlaffte, sie ließ Elizabeth los und stierte wieder ausdruckslos vor sich hin.
Elizabeth
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