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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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schrie sie. » Ho, mein Mädchen!«
    In scharfem Galopp flog sie dahin, ihr Weg führte sie vorbei an dichten Hainen, Wiesen und Gesträuch. Die sanft gewellte Landschaft mit ihren kleinen Flüssen und Bächen inmitten grüner Auen und mit den dichten Wäldern war ihr Zuhause. Sie kannte jeden Winkel und hätte den Weg hinab zur Küste auch blind gefunden. Hier und da duckten sich Cottages hinter Felswällen und Hecken, umgeben von Feldern und Viehweiden, und auch einige winzige Dörfer säumten den Weg. Mittlerweile hatte es sich noch mehr aufgehellt, die Wolken hatten sich fast vollständig verzogen. Rauch kräuselte sich über den Kaminen und stieg in den klaren Winterhimmel. Elizabeth ritt durch eines der Dörfer, schaute dem Rauch hinterher und empfand dabei ein seltsames Gefühl des Verlustes. Aus der einen oder anderen Tür folgten ihr Blicke, einige Dorfbewohner winkten ihr freundlich zu. Die Tochter des Viscounts war zumeist gern gesehen, auch wenn man über ihre unerhörte Art zu reiten tuschelte und ihr nachsagte, es mangle ihr an Sittsamkeit.
    Elizabeth hörte und roch das Meer, und als sie die letzte Ansiedlung hinter sich gelassen hatte, konnte sie es auch sehen. Rauschend brachen sich die Wellen an der felsigen Küste, und der eisige Wind brachte den salzigen Geschmack von fliegender Gischt mit sich. Beim Anblick des Meeres musste sie an den Freibeuter denken, an die seltsamen Gefühle, die das Wissen um seine Kaperfahrten in ihr ausgelöst hatten, eine Mischung aus Faszination und furchtsamem Erschauern. Es war wie vor dem Betreten eines unbekannten Weges, von dem man nicht wusste, ob er Gefahren barg oder Verheißungen – oder beides. Zu ihrem Verdruss hatte sie seit jenem Tag in London häufig an ihn denken müssen. Sie hatte versucht, sich vorzustellen, was er für ein Mensch war. Ob er Familie hatte, wo er lebte, wenn er nicht gerade auf seinem Schiff war. Dabei würde sie ihn vermutlich nie wiedersehen. Umso überflüssiger war es, sich seinetwegen den Kopf zu zerbrechen.
    Sie ritt den Weg entlang, den sie sonst auch immer nahm, vorbei an Geröllhalden und Gestrüpp, bis das verfallene Cottage in Sicht kam, das halb hinter Wacholderdickicht verborgen lag. Zu ihrem Erstaunen sah sie Rauch aus dem Schornstein aufsteigen. Seit jeher war das alte, baufällige Häuschen unbewohnt. Sie kam auf ihren Ausritten oft her und ließ Pearl ein wenig grasen, während sie selbst sich auf die steinerne Einfassung der Veranda setzte, um hinaus aufs Meer zu schauen.
    Befremdet saß sie ab und führte Pearl am Zügel neben sich her. Als sie sich dem Haus näherte, sah sie einen Mann, der zwischen den verwilderten Rosenbüschen stand und Holz hackte. Er kehrte ihr den Rücken zu, und während er schwungvoll mit der Axt ausholte, flatterte sein offenes Hemd im Wind. Das dunkle Haar hatte er im Nacken zusammengebunden, die Ärmel hochgekrempelt. Zwischen seinen Schulterblättern war der Stoff seines Hemdes dunkel von Schweiß, und als er sich nach dem letzten Axthieb ein wenig zur Seite wandte, um ein neues Scheit auf dem Hackklotz bereitzulegen, konnte sie sehen, dass auch sein Gesicht schweißüberströmt war.
    Ihr entwich ein erschrockener Laut, als sie ihn erkannte. Das war Duncan Haynes, der Kapitän! Für einen verrückten Augenblick fuhr ihr durch den Kopf, dass er ein Trugbild sein musste, erzeugt durch ihre eigenen dummen Gedanken. Doch er hatte sie gehört und fuhr herum, ebenso überrascht wie sie. Langsam kam er auf sie zu, ein erstauntes Lächeln im Gesicht. Die Axt hielt er locker in der Hand, während er sich mit der anderen Hand einen Zipfel seines Hemdes griff und sich nachlässig über das Gesicht wischte. Er verneigte sich kurz, wobei es ihn nicht zu stören schien, dass sein Hemd so weit offen stand, dass Brust und Bauch völlig unbedeckt waren.
    » Lady Elizabeth!«
    » Seid gegrüßt, Master Haynes«, stammelte sie. Ihr Herz hämmerte mit einem Mal so unerwartet heftig, dass sie es bis in die Kehle spürte. Er schien ihr noch größer und breitschultriger, als sie ihn in Erinnerung hatte. Er lächelte sie an.
    » Was verschafft mir die Ehre Eures Besuchs?«
    Elizabeth bemühte sich, nicht auf seine breite Brust und die stark ausgeprägte Bauchmuskulatur zu starren. Sein Körper war genauso tiefbraun gebrannt wie das Gesicht, das durch den Bartschatten noch dunkler wurde, sodass sich das blitzende Weiß seiner Zähne überdeutlich davon abhob. Sie riss sich zusammen und atmete tief durch, in der

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