Inseln im Wind
schreckliches Massaker, sie hat als Einzige überlebt. Sie liegt drüben hinter dem Felsen und schläft.«
Wieder fuhr der Wind in das Feuer, ließ die Funken hochstieben und die Männer fluchend zurückfahren. Über die Flammen hinweg begegnete Deirdre den Blicken des alten Mannes.
Er hatte die Trommel in den Armen und fing unvermittelt an, sie zu schlagen. Hastig wandte Deirdre sich ab und lief hinter die Felsen, die ihre Schlafplätze vom Feuer auf der Lichtung abschirmten. Anne war tatsächlich dort, aber sie war wach und hatte sich aufgesetzt. Ihre Augen waren weit offen, doch sie schien durch Deirdre hindurchzusehen.
» Mylady!«, sagte Deirdre erschrocken. » Ich bin’s, Deirdre. Die Zofe von Lady Elizabeth. Ich war schon oft mit ihr bei Euch auf Summer Hill! Erkennt Ihr mich denn nicht?«
Anne reagierte nicht. Sie sah furchtbar aus. Nahezu jeder Zoll ihres Körpers war von Rissen und Schürfwunden verunstaltet. Ihre Kleidung bestand nur aus einem restlos zerfetzten, blutigen Unterrock, ihre Haare waren eine einzige verfilzte Masse. Ihr rechter Fußknöchel war geschwollen; um das Gelenk zog sich eine blauschwarze Verfärbung, und in der Mitte dieses Mals befanden sich zwei rötliche Einkerbungen. Eine Schlange musste sie dort gebissen haben, doch jemand hatte die Wunde aufgeschnitten. Wahrscheinlich Dapo, der sich auf solche Behandlungen verstand.
Deirdre hörte Schritte hinter sich. Celia trat zu ihr und hockte sich neben sie. Sie nahm eine Decke von ihrem Schlaflager und wickelte sie Anne um die Schultern. Deirdre wies mit dem Kinn auf Anne.
» Was hat sie?«, fragte sie leise.
» Ihr Geist ist über den Wolken und fliegt mit dem Sturm«, sagte Celia. Es klang seltsam blumig, aber zugleich auch ganz selbstverständlich, als sei es nicht weiter verwunderlich, dass Anne nicht richtig bei sich war. » Und natürlich hat sie Fieber, das kommt von dem Schlangenbiss.«
» Was war auf Summer Hill los?«, wollte Deirdre wissen.
» Es wurden alle umgebracht, bis auf Anne. Ich fand sie in der Küche des Haupthauses, sie war im Fieberwahn und vor Durst völlig von Sinnen. Vorher muss sie stundenlang durch den Wald geirrt sein, so, wie sie aussieht. Ich untersuchte gerade ihre Wunden, als plötzlich Harold Dunmore im Haus auftauchte.«
Deirdre traute ihren Ohren nicht.
» Mister Dunmore?«, vergewisserte sie sich.
Celia nickte.
» Er kam zurück, um Anne zu töten.«
» Um Gottes willen!« Deirdre plumpste vor Schreck fast aufs Hinterteil. » Woher weißt du, dass er das vorhatte?«
» Sie war die einzige Zeugin, deshalb musste er sie aus dem Weg räumen.«
» Die einzige Zeugin wovon?«
» Er hat Lady Harriet umgebracht«, sagte Celia verbittert. » Außerdem die beiden Mägde. Nur Anne ist ihm entwischt.«
» Woher weißt du, dass er es war?«
» Weil sie im Fieber gesprochen hat. Mister Dunmore, tut es nicht. Mister Dunmore, tut es bitte nicht. Bitte tötet nicht meine Mutter, Mister Dunmore! Sie hat Euch doch nichts getan!« Celias Stimme brach, sie hob die Hand und fuhr sich wütend über die Augen.
Deirdre erschauerte, einmal mehr davon überzeugt, dass nur ihre rechtzeitige Flucht von Dunmore Hall ihr im Sommer das Leben gerettet hatte. Sie hatte mit jeder Faser ihres Wesens gespürt, dass er ein Mörder war. Und wie gut, dass die alte Rose den zwei Schuldknechten, die von Rainbow Falls geflohen waren, davon erzählt hatte, dass Mister Dunmore Lady Elizabeth und Felicity eingesperrt hatte. Wären sie nicht rechtzeitig aus der Kammer befreit worden, hätte Dunmore sie womöglich auch noch ermordet.
» Was geschah weiter?«, wollte Deirdre wissen. » Wo war Dapo?«
» Wasser holen. Ich hockte bei Anne in der Küche, während Harold nach ihr rief. Ich dachte, mir bleibt das Herz stehen.«
» Und dann?«, drängte Deirdre.
» Auf einmal fing er an, wie ein Verrückter zu schreien, tobte und heulte in allen Tonlagen. Aber er kam nicht nach unten. Da habe ich Anne vom Haus fortgezerrt, bis ich Dapo fand. Er hat sie sich über die Schulter gelegt, und wir sind gerannt.«
Deirdre konnte sie nur wortlos anstarren. Das alles war so ungeheuerlich, dass ihr die Worte fehlten. Dunmore war der Satan in Person. Rasch bekreuzigte sie sich und tastete dann nach dem Rosenkranz in ihrer Rocktasche. Die Trommeln wurden lauter, aber ebenso laut war der brausende Wind, der ihnen das Haar ums Gesicht wirbelte und Sand sowie Ascheflocken durch die Luft wehte.
» Das scheint ein richtiger Sturm zu werden«,
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