Inseln im Wind
Verstand. Erst, als sie die Dörfer hinter sich gelassen hatte und wieder auf Raleigh Manor zuhielt, zwang sie sich zum Nachdenken. Sie musste überlegen, wie sie sich zu verhalten hatte, sobald sie wieder zu Hause sein würde. Es musste einen erkennbaren Grund dafür geben, dass sie derart außer sich war. Und für ihre ramponierte Erscheinung sowieso, von den Spuren an ihrer Kleidung ganz zu schweigen. Ihr Mieder war vorn zerrissen, und während des Reitens spürte sie, wie es aus ihr heraussickerte. Rasch saß sie ab, um nachzuschauen, und als sie die hellen, deutlich sichtbaren Schlieren sah, verwünschte sie ihre abgrundtiefe Dummheit. Wieso hatte sie nicht sofort erkannt, was ihr bevorstand, als er sie hochgestemmt hatte? Schließlich war sie auf dem Lande aufgewachsen und hatte oft genug mit eigenen Augen gesehen, wie Tiere sich paarten. Auch wenn es bei denen etwas anders aussah – der Vorgang war derselbe.
Einen Moment lang überlegte sie, einfach zu behaupten, Duncan Haynes habe sie überfallen und ihr Gewalt angetan. Jeder würde ihr unbesehen glauben: Schließlich ankerte sein Schiff vor der Küste, und er selbst hielt sich in der Gegend auf, überdies galt er allgemein als dreist und skrupellos. Doch diesen Gedanken verwarf sie sofort wieder. Man würde ihn ergreifen und aufhängen, dann hätte sie seinen Tod auf dem Gewissen. Nicht, dass sie ihm den nicht gegönnt hätte – ihr Zorn auf ihn war grenzenlos, und er verstärkte sich, je länger sie darüber nachdachte. Er hatte sie behandelt wie eine beliebige Hure, es hatte nur noch gefehlt, dass er ihr Geld dafür bot!
Schuld an alledem war allerdings nur eine einzige Person, und das war sie selbst. Sie hätte ihm von Anfang an Einhalt gebieten können, schon gestern, als er von diesem angeblichen Brauch angefangen hatte. Stattdessen hatte sie die Gefahr herausgefordert, indem sie erneut zu ihm hinausgeritten war. Sie hatte seine Avancen nicht nur über sich ergehen lassen, sondern sich ihm förmlich an den Hals geworfen. Wie eine Lunte, die jemand an beiden Seiten angesteckt hatte, war sie aufgeflammt und verglüht. Duncan hatte recht gehabt mit dem, was er gesagt hatte. Sie war lüstern und hemmungslos. Offenbar reichte ein Kuss und etwas hitziges Gefummel, um sie jede Beherrschung verlieren zu lassen. Im Nachhinein war es zudem von himmelschreiender Offensichtlichkeit, dass sie einzig und allein deswegen eine weitere Begegnung mit ihm gesucht hatte, weil sie förmlich danach gefiebert hatte, in seine Arme zu sinken. Er hatte nur genommen, was sie ihm dargeboten hatte. Auch wenn diese Erkenntnis noch so sehr schmerzte – sie hatte es nicht anders verdient. Jetzt konnte sie nur noch dafür sorgen, dass niemand davon erfuhr.
Elizabeth saß wieder auf und dachte während des Weiterreitens nach, bis sie die Lösung ihres vordringlichsten Problems gefunden hatte. Am Rande eines Wäldchens brachte sie Pearl bei einem versteckten Bachlauf zum Stehen. Es gab nur eine Möglichkeit, alle Spuren zuverlässig zu beseitigen. Sie schaute sich um, doch kein Mensch war zu sehen. Es dämmerte schon, die Leute saßen daheim im Warmen, niemand war bei dem Wetter unterwegs. Rasch zog sie ihre Gewänder aus, wusch im Bach die verräterischen Flecken so gründlich wie möglich heraus und zog anschließend alles wieder über. Ihr Körper schlotterte in der Kälte, ihre Zähne schlugen aufeinander, und ihre Finger fühlten sich an wie Eiszapfen. Doch es war noch nicht genug. Mit Todesverachtung zog sie auch die Stiefel aus und schwenkte sie durch den Bach. Sie benetzte Haar und Gesicht, und zuletzt tränkte sie auch den Umhang mit Wasser. Eilig stieg sie anschließend wieder aufs Pferd. Die Stute tänzelte verschreckt, weil das Eiswasser aus dem Umhang auf sie triefte, doch als Elizabeth ihr beruhigend zuredete, fiel sie in gleichmäßigen Trab. Es war nicht mehr weit, höchstens noch eine halbe Meile, aber als sie endlich das Herrenhaus erreichte, kam es Elizabeth so vor, als sei sie kurz vorm Erfrieren.
Der Hausdiener behielt die Fassung, als sie in die Halle gestürmt kam. Er hatte Elizabeth schon öfter so heimkommen sehen. Sofort läutete er nach einer Magd.
» Ein heißes Bad, aber schnell!«, rief er.
Aufgeschreckt von dem Lärm, fanden sich gleich darauf auch der Hausherr und die Dunmores ein.
» Was ist geschehen?«, wollte der Viscount besorgt wissen. » Bist du wieder vom Pferd gefallen?«
Elizabeth nickte mit klappernden Zähnen. Das Dienstmädchen
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