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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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Selbstverständlichkeit verlangte er von ihr, dass sie ihn zuerst küsste. In dem Moment, als sie es tat, bewegte sich Felicity neben ihr im Bett und stöhnte laut: » Der Spiegel! Wir haben den Spiegel vergessen!«
    Elizabeth spürte den Nachhall der Erregung, die der Traum in ihr hinterlassen hatte. Zu gern hätte sie an der Stelle weitergeträumt, wo er aufgehört hatte, doch die restliche Nacht war nur mit wirren, zusammenhanglosen Bildern erfüllt, an die sie sich nach dem Aufwachen nicht richtig erinnern konnte.
    Den ganzen Tag über war sie in sich gekehrt und still. Sie ging ihrer Cousine und ihrem Vater aus dem Weg, erst recht aber den Dunmores, die sich die meiste Zeit im Empfangszimmer aufhielten, wenn sie nicht gerade in ihrem Schlafgemach weilten, um zu ruhen. Für die beiden gab es auf Raleigh Manor nichts weiter zu tun, als sich zu langweilen. Gelegentlich ritten sie mit dem Viscount auf die Jagd, doch war das bei dem winterlichen Wetter kein ungetrübtes Vergnügen. Vor allem Harold machte die Tatenlosigkeit zu schaffen. Oft schritt er unruhig auf und ab, um dann unvermittelt stehen zu bleiben und sich irritiert umzusehen, als befinde er sich am falschen Ort. Immer häufiger gebrauchte er Redewendungen wie Wenn wir erst wieder auf Barbados sind oder Wenn erst wieder alles seinen gewohnten Gang geht. Für die Zeit seiner Abwesenheit hatte er seinen Aufseher zum Verwalter der Plantage bestimmt, laut Harold ein fähiger Mann, doch niemandem konnte entgehen, mit welcher Ungeduld er der Abreise entgegenblickte.
    Als sie sich für den Ausritt fertigmachte, konnte Elizabeth ihre Aufregung kaum noch zügeln. Felicity musterte sie stirnrunzelnd.
    » Willst du wirklich noch einmal ausreiten?«
    » Ja«, sagte Elizabeth wortkarg.
    Sie spürte die befremdeten Blicke ihrer Cousine, während sie die Reitkleidung anlegte. Aus unerfindlichen Gründen hatte sie heute darauf geachtet, frisch gewaschene Sachen anzuziehen, und auch ihrer Frisur hatte sie mehr Aufmerksamkeit gewidmet als sonst.
    » Bist du nervös wegen morgen?«, wollte Felicity mitfühlend wissen.
    Elizabeth nickte. An den kommenden Tag hatte sie überhaupt nicht mehr gedacht. Die Hochzeit schien so weit entfernt zu sein wie Barbados. Sie war erleichtert, als sie endlich Pearl aus dem Stall führen und aufsitzen konnte. Wie befreit galoppierte sie über die Felder, in tiefen Zügen die klare Winterluft atmend. An diesem Nachmittag war das Wetter angenehmer als am Vortag. Es hatte nicht geregnet, der Boden war halbwegs trocken und fest, der Himmel blau. Auf halber Strecke wurde sie von einer machtvollen Unruhe erfasst. Es war wie eine Vorahnung, ein Ausblick auf Ereignisse, die sich jeder Einflussnahme entzogen. Eine eigentümliche Gewissheit schien mit dieser Vorahnung einherzugehen – noch war Zeit, alles abzuwenden, sie musste nur sofort umkehren. Auf der Stelle. Dann würde ihr nichts geschehen. Ihr Leben würde in den geplanten Bahnen verlaufen, nichts würde die Ordnung stören.
    Doch sie kehrte nicht um, sondern trieb Pearl zu schnellerem Galopp an, jeder dröhnende Hufschlag ein weiterer Schritt ins Ungewisse. Das Getrappel schien mit ihrem hämmernden Herzen eins zu werden. Dann hatte sie das Cottage erreicht. Wieder kräuselte sich Rauch aus dem Schornstein, wieder stand Duncan dort und hackte Holz. Es war, als sei der letzte Tag nicht vergangen, als wäre sie nur ein paar Augenblicke weg gewesen und zurückgekommen. Er blickte auf, als sie das Pferd zügelte, und während sie bei einem der Apfelbäume anhielt und absaß, kam er näher, das Beil achtlos fallen lassend.
    » Du bist gekommen«, sagte er.
    Die vertrauliche Anrede war wie eine Liebkosung. Elizabeth nickte mit klopfendem Herzen. Pearls Zügel glitten ihr aus der Hand, die Stute trottete sofort hinüber auf die Wiese, um zu grasen.
    » Ich will die Geschichte hören«, sagte Elizabeth. Zu ihrem Verdruss klang ihre Stimme krächzend, doch er schien es nicht zu bemerken. Dicht vor ihr blieb er stehen, das Hemd weit offen, die braune Brust schweißnass. Sein Geruch stieg ihr in die Nase und machte sie schwindeln vor Erregung. Sie begriff, dass es ihr nicht um die Geschichte ging. Sie wollte … Sie wusste nicht, was sie wollte. Dafür jedoch er. Er legte seine warme, große Hand auf ihre Wange. Sie fühlte die Schwielen auf ihrer Haut. Sein suchender Blick schien ihr Inneres in Flammen zu setzen.
    » Du weißt, dass wir jetzt noch einmal Abschied nehmen müssen, aye? Gestern – das

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