Inseln im Wind
Vandemeer es ihr angetan hatte. Umgekehrt, so stand zu vermuten, galt dasselbe. Vandemeer war ein agiler, immer gut aufgelegter Mann von kaum dreißig Jahren, seit zwei Jahren verwitwet und weiblichen Reizen alles andere als abhold, vor allem, wenn es um die Reize einer jungen Frau wie Felicity ging. Sie strahlte eine gewisse sinnliche Unschuld aus, obwohl Harold davon überzeugt war, dass sie bereits ihre Erfahrungen gesammelt hatte. Obendrein war sie, was niemand bestreiten konnte, eine Augenweide. Mit ihrem herzförmigen, munteren Gesicht, dem glänzenden brünetten Lockenhaar und dem üppigen Körper, den nicht einmal der unförmige Umhang verbergen konnte, zog sie alle männlichen Blicke auf sich. Sie war neunzehn, also in einem Alter, in dem es höchste Zeit fürs Heiraten war. Kaum hatte sie Niklas Vandemeer zum ersten Mal gesehen, hatte sie ihre Netze ausgeworfen und ihren ganzen Charme spielen lassen. Der Kapitän wiederum ließ keine Gelegenheit aus, ihr entgegenzukommen. Auch diese Entwicklung konnte Harold recht sein. Es würde sie davon abhalten, sich allzu sehr wegen Elizabeth den Kopf zu zerbrechen.
Harolds Miene verfinsterte sich, als er daran dachte. Er hatte nicht genau mitbekommen, was vor zwei Tagen zwischen Robert und Felicity vorgefallen war, aber dass etwas vorgefallen war, stand außer Frage. Natürlich hatte Robert behauptet, es sei nichts gewesen, nur ein nettes Wortgeplänkel zwischen ihm und der Cousine seiner Frau, schließlich sei sie nun so etwas wie seine Schwester. Doch Harold argwöhnte, dass es einen Streit gegeben hatte – wenn nicht Ärgeres! –, sonst wäre Felicity Robert seither nicht mit solch verbitterter Beharrlichkeit aus dem Weg gegangen. Über den Grund der Auseinandersetzung machte Harold sich keine Illusionen. Fraglich war nur, ob sie Elizabeth gegenüber etwas verlauten lassen würde oder es für sich behielt. Doch auch diese Grübelei war im Grunde müßig. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Elizabeth herausfand, woran sie mit ihrem Mann war. Doch bis dahin … Es galt, diese Erkenntnis so lange wie möglich hinauszuschieben. Die Chancen dafür standen gut, denn Elizabeth ließ sich nur selten blicken: Die Seekrankheit hielt sie fest in den Klauen, sie konnte sich nie mehr als ein paar Schritte von dem allgegenwärtigen Kübel entfernen und wollte nicht, dass die anderen ihr Elend sahen. Bislang hatte sie erst einmal an dem Dinner in der Großen Kajüte teilgenommen, dem einzigen täglichen Ereignis, das den mitreisenden Passagieren inmitten der stinkenden Bedrängnis dieses hölzernen, wankenden Gefängnisses ein Gefühl von Zivilisation vermittelte. Was Harold betraf, so legte er ebenfalls keinen allzu großen Wert auf diese eher formellen als geselligen Zusammenkünfte, doch alles war besser, als in den engen, stickigen Unterkünften zu verharren, die man ihnen zugewiesen hatte. Er selbst teilte sich eine Kajüte mit seinem Sohn sowie mit zwei Kaufherren der Niederländischen Westindienkompanie, unter deren Ägide das Schiff fuhr. Einer der beiden war ein Schwager des Kapitäns, ein geschwätziger Fettsack mit geruchsintensiven Verdauungsbeschwerden, die ein Betreten der Kabine zeitweise unmöglich machten, obwohl es eine Fensterluke zum Lüften gab. Auf dem Achterschiff befanden sich auch die Unterkünfte der Offiziere und des Geistlichen, der zugleich als Schreiber fungierte, sowie des Schiffsarztes, der tatsächlich ein studierter Medicus war, nicht nur einer der sonst auf Schiffen üblichen Barbiere. Aber auch er war außerstande, etwas gegen Elizabeths anhaltende Seekrankheit auszurichten. Elizabeth wiederum war mit Felicity in einer Kajüte untergebracht. So gesehen waren die beiden noch am besten dran – abgesehen natürlich von William Noringham. Der durfte während der Überfahrt bei seinem guten Freund Vandemeer in der Kapitänskajüte nächtigen, einer ausgesprochen geräumigen und schon beinahe komfortablen Örtlichkeit mit großen Heckfenstern und einer offenen Galerie.
Noringham! Allein bei dem Gedanken zog sich Harolds Magen zusammen. Schon auf der Reise nach England hatte er es kaum ertragen, mit diesem Mann wochenlang auf engstem Raum ausharren zu müssen. Als die Eindhoven drei Tage lang in Rotterdam vor Anker gelegen hatte, um einen Teil der auf den Antillen aufgenommenen Ladung zu löschen, bevor sie nach Portsmouth weiterfuhr, hatte sich Harold kurzerhand die Zeit in der Stadt vertrieben. Jeder Tag, den er nicht in Noringhams Nähe
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