Inseln im Wind
gebrüllten Kommandos des Bootsmanns über die Rahen und hissten das Bramsegel.
» Das lässt hoffen«, meinte er. » Sie sind schon eine Weile bei der Arbeit. Vielleicht könnt Ihr sogar heute am Dinner in der Kapitänskajüte teilnehmen.«
» Ich will mich nicht zu früh freuen«, versetzte sie. » Aber vorgenommen habe ich es mir auf jeden Fall.«
Unauffällig betrachtete er sie. Ihr Gesicht war blass von den erlittenen Strapazen, und zweifellos hatte sie einiges an Gewicht verloren. Mit dem blühenden jungen Mädchen, das in Portsmouth mit den Dunmores auf die Eindhoven gekommen war, hatte sie nicht mehr viel Ähnlichkeit. Doch ihre Schultern waren kämpferisch erhoben, und auch das kühn in den Wind gereckte Gesicht deutete darauf hin, dass sie sich nicht so schnell unterkriegen ließ. Eine Lebenseinstellung, die ihr gewiss noch von hohem Nutzen sein würde – zog man in Betracht, in welche Familie sie eingeheiratet hatte.
» Lebt Ihr schon lange auf Barbados?«, erkundigte Elizabeth sich bei ihm.
» Schon fast mein ganzes Leben. Meine Eltern kamen bereits im ersten Jahr der Kolonisierung dorthin.«
» Also vor über zwanzig Jahren?«
William nickte. » Zuerst mein Vater. Er war auf der Suche nach kultivierbarem Boden. In England besaß unsere Familie früher Ländereien, doch ein friedliches Leben war unter Charles kaum möglich. Wenn er nicht gerade Krieg anzettelte oder das Parlament auflöste, wollte er Geld und Soldaten. Das Land blutete unter den kriegerischen Auseinandersetzungen förmlich aus. Die Menschen wurden immer ärmer, es gab kaum noch genug für alle zu essen.«
» Viele der Bauern konnten bestimmt ihre Pacht nicht mehr zahlen, oder?« Elizabeth blickte ihn eindringlich an, als sei ihr seine Antwort auf diese Frage wichtig.
» So war es. Mein Vater war es irgendwann leid. Als eines Tage s ein Reisender begeistert von den Möglichkeiten auf den Westindischen Inseln berichtete, machte mein Vater sich auf den Weg, um es sich selbst anzusehen. Damals war Barbados noch völlig menschenleer.«
» Lebten nicht früher Eingeborene dort?«
» Zu jener Zeit schon nicht mehr. Es heißt, sie seien allesamt vor den Menschenfressern geflohen, doch von denen gab es auch keine auf Barbados, als mein Vater das erste Mal seinen Fuß auf die Insel setzte. Möglicherweise waren sie jedoch vorher da gewesen und sind weitergezogen, als ihnen das Essen ausging.«
Elizabeth lachte, und fasziniert sah William, wie sich ihr Gesicht dabei veränderte. Mit einem Mal bekam ihre Erscheinung eine so starke Präsenz, dass es unmöglich war, ihr keine Bewunderung zu zollen. Sie kam ihm wacher und aufmerksamer vor als alle anderen Frauen, die er bisher kennengelernt hatte. Eine besondere Spannkraft schien ihrem Körper innezuwohnen, so lebhaft war das funkelnde Interesse in ihrem Blick und so ungekünstelt ihre Heiterkeit.
» Kurz und gut, als mein Vater das erste Mal nach Barbados kam, zusammen mit ein paar Dutzend weiteren siedlungswilligen Abenteurern, fand er ideale Bedingungen für den Landbau vor. In jenen Jahren hatten die ersten Kolonisten in Amerika angefangen, mit Tabak ein Vermögen zu verdienen, und Vater wollte es ebenso machen. Er kam zurück nach England und verkaufte unsere Güter, bis auf den Erbsitz, auf dem bis vor Kurzem meine Großmutter lebte. Anschließend packte er meine Mutter, meine Schwester Anne und mich auf einen Frachter, zusammen mit unserem ganzen Hab und Gut. So kam ich nach Barbados.«
» Dann könnte man sagen, dass es Eure Heimat ist?«
» Kein anderes Land könnte meinem Herzen näher sein«, sagte William. Es überraschte ihn, wie tief die Empfindungen waren, die ihn dabei durchströmten. Das Gefühl war noch stärker als jene Sehnsucht, die ihn unlängst in London erfasst hatte, als er der Kälte und der Tristesse des englischen Klimas und der unfreundlichen Umgebung so überdrüssig gewesen war.
» Seit damals war ich nur zweimal in England«, sagte er. » Einmal nach dem Tode meines Vaters vor fünf Jahren, als ich zur Regelung unserer Erbschaftsangelegenheiten dorthin reisen musste. Und das zweite Mal vor einigen Wochen. Meine Großmutter starb Ende letzten Jahres. Ich habe den Nachlass abgewickelt und unseren alten Stammsitz verkauft. Damit ist die letzte Verbindung nach England gekappt.«
Elizabeth nickte nachdenklich. Der Wind wehte ihr eine Locke vor die Augen. Ungeduldig strich sie das Haar beiseite und schob es hinter ihr Ohr, mit einer Geste, die bestimmt und
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