Inseln im Wind
Eltern … Und als du … Vater sagte, es würde dich nur unnütz quälen, davon zu berichten. Aber ich habe mich oft gefragt, wie …« Sie hielt inne, unfähig, es auszusprechen.
» Sie waren zu dritt. Einer von ihnen packte mich und schleuderte mich zu Boden. Er nahm mich mit Gewalt, und während er es tat, hielt er meinen Kopf mit beiden Händen so, dass ich zusehen musste, wie der Zweite meiner Mutter die Kehle durchschnitt und der Dritte Vater mit dem Schwert durchbohrte. Dann kamen die beiden zu mir und nahmen mich ebenfalls, zusammen und gleichzeitig mit dem ersten Kerl. Triefend von dem Blut meiner Eltern und meinem eigenen taten sie mir Dinge an, die so widerwärtig sind, dass Worte nicht ausreichen, sie zu beschreiben.« Mit schwankender Stimme führte Felicity aus: » Die Schmerzen wurden schließlich so schlimm, dass ich das Bewusstsein verlor. Als ich wieder zu mir kam, waren sie weg.«
» Oh Gott«, flüsterte Elizabeth. » Ich wusste ja nicht …«
» Nein, natürlich nicht. Wie denn auch? Dein Vater wollte ja nicht, dass ich darüber rede. Es geht alles vorüber, hat er gesagt. Und: Der König hat keine Schuld daran, mein Kind. Immer wieder hat er beteuert, dass dieses verdammte Stuart-Schwein keine Schuld daran trägt, dass die von ihm bezahlten schottischen Mörderbanden meine Familie umgebracht und mir selbst die Ehre geraubt haben. Und er sagte auch: Sprich nicht zu meiner Tochter darüber, sie ist ein liebes und unschuldiges Mädchen, das schwer genug an dem Tod ihrer geliebten Mutter und ihrer Geschwister zu tragen hat.« In Felicitys Gesicht arbeitete es. » Deshalb war über das, was mir geschehen war, Stillschweigen zu bewahren.«
Abermals breitete sich lastendes Schweigen zwischen ihnen aus. Das Schiff bewegte sich sacht von einer Seite auf die andere, ein kaum merkliches, zielloses Schwanken auf dem windstillen Ozean.
» Bist du … böse auf mich?«, fragte Elizabeth schließlich verunsichert.
Felicity schüttelte erschöpft den Kopf.
» Nein, um Himmels willen, doch nicht auf dich! Auf deinen Vater war ich wohl wütend, aber ich habe irgendwann begriffen, dass er nichts dafür konnte. Nicht er war verantwortlich für mein Leiden, sondern dieser vermaledeite König. Und natürlich die Schotten. Vor allem aber die Kerle, die mir und meinen Eltern das angetan haben. Es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht dafür gebetet habe, dass sie alle miteinander zur Hölle fahren. Wie auch immer: Als der König aufs Schafott kam, habe ich Tränen der Dankbarkeit vergossen.« Sie besann sich kurz, dann fügte sie aufrichtig hinzu: » Und ich habe es deinem Vater gegönnt, Lizzie.«
Elizabeth rang noch mit der Tragweite all dieser Offenbarungen, als ihre Cousine zum ursprünglichen Thema ihres Gesprächs zurückkam.
» Was deinen Zustand angeht, so habe ich nicht den geringsten Zweifel darüber. Wohl aber, wie es dazu kam. Oder besser: durch wen. Wer war es?«
» Warum fragst du erst jetzt danach?«, platzte Elizabeth heraus. Etwas ruhiger fuhr sie fort: » Wieso hast du es nicht gleich wissen wollen, obwohl es doch, wie du sagst, so offenkundig für dich war?«
» Ich wollte nicht, dass bei deiner Hochzeit noch irgendwas dazwischenkam«, antwortete Felicity schlicht. » Ich hätte alles dafür gegeben, England für immer den Rücken zu kehren. Die Nähe deines Vaters war für mich schlecht auszuhalten. Mit der Zeit wäre es vielleicht besser geworden – wie ich schon sagte, ich hatte begriffen, dass es nicht seine Schuld war –, doch Verstand und Gefühle gehen oft auseinander. Mein Wunsch war es, so weit wie möglich fort zu sein. Am besten am anderen Ende der Welt. Also tat ich so, als sei alles in bester Ordnung. Die Heirat, die Hochzeitsnacht, die Abreise – es sollte alles wie geplant verlaufen. Und das tat es dann ja auch.« Sie blickte Elizabeth an. » Es war dieser Kapitän, nicht wahr?«
Elizabeth konnte ihre Cousine nur entgeistert anstarren.
» Lizzie, ich habe dein Gesicht gesehen, als du mir erzählt hast, wie er dich in dem Gedränge rettete. Außerdem habe ich mitbekommen, wie du deinen Vater nach ihm ausgefragt hast.«
» Du hast gelauscht?«
» Die Tür stand einen Spalt offen. Lizzie, du bist wirklich ein sehr ungezogenes Mädchen! Mir will scheinen, dass du einen fatalen Hang zum Abenteuer hast.« Mit einem Mal sprach Felicity wieder in jenem beschwingten Ton, der dazu beitrug, dass man sie für oberflächlich und naiv halten konnte – ein Mädchen, dem allein
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