Inseln im Wind
zugleich schien sich auf prophetische Weise zu bewahrheiten, was ihr bereits während der Unterhaltung mit William Noringham wie eine Vorahnung in den Sinn gekommen war – allem Anschein nach war sie schwanger. Ihr war nicht mehr aus dem Kopf gegangen, was er über seine Mutter berichtet hatte. Zuerst hatte sie die Tage gezählt bis zu dem Zeitpunkt, als ihre nächste Monatsblutung hätte einsetzen müssen. Für gewöhnlich kam diese pünktlich, nur äußerst selten war es vorgekommen, dass sie einmal einen Tag darauf hatte warten müssen. Als die Blutung das erste Mal ausblieb, schob sie es zunächst auf die Strapazen der Reise und ihren miserablen Gesundheitszustand. Doch dann ging es ihr von Tag zu Tag besser, sie konnte wieder essen und behielt alles bei sich. Sie konnte stundenlang an der Reling stehen oder auf einer der Kisten sitzen, die vor den Kajüten vertäut waren, und auf das bewegte Meer hinausblicken. Nicht einmal das heftigste Schwanken des Schiffs versetzte ihren Magen in Unruhe. Während die einen oder anderen Passagiere bei kabbeliger See durchaus gelegentlich mit Übelkeitsanfällen zu kämpfen hatten, schien Elizabeth nunmehr davor gefeit zu sein, als habe das wochenlange Leiden nach der Abreise sie dagegen immun gemacht.
Doch ihre Blutung war weiterhin ausgeblieben. Schließlich fiel es auch Felicity auf – immerhin lebten sie auf engstem Raum zusammen, und man konnte buchstäblich nichts voreinander verbergen.
Eines Morgens, als Elizabeth gerade in ihr Hemd schlüpfen wollte, sprach ihre Cousine es aus. » Du bist guter Hoffnung«, sagte sie. Es klang beiläufig.
Elizabeth zuckte zusammen und wagte nichts zu sagen.
» Deine Blutung ist zweimal nacheinander ausgeblieben.« Felicity saß auf einer ihrer Kisten und kämmte sich das lange Haar, umflossen vom trüben Morgenlicht, das durch das Fensterchen ihrer Kajüte hereinfiel. Trotz der frühen Morgenstunde war es bereits drückend warm, die Luft war zum Schneiden dick und unangenehm schwül.
Elizabeth zog sich das Hemd über den Kopf, um nicht antworten zu müssen.
» Von wem ist es?«, wollte Felicity wissen.
Die Schnüre des Mieders verhedderten sich unter Elizabeths bebenden Fingern.
» Ich weiß nicht, was du meinst. Wer sonst außer Robert …«
» Mach dich nicht lächerlich«, fiel Felicity ihr ins Wort. » Ich weiß genau, wann es passiert ist. Schließlich habe ich nach diesem letzten Ausritt geholfen, dich auszuziehen. Und ich habe gesehen, wie du dich in dem Zuber gewaschen hast. Lizzie, mir kannst du nichts vormachen. Ich konnte riechen, was geschehen war. Vergiss nicht, was mir im letzten Jahr passiert ist.«
Elizabeth schluckte. Felicity hatte nie mit ihr darüber gesprochen, was ihr bei dem Überfall der Schotten zugestoßen war. Sie wusste nur von ihrem Vater, dass die Männer Felicity etwas sehr Schlimmes angetan hatten. Die Mägde hatten von Vergewaltigung getuschelt, doch Elizabeth scheute sich, Felicity mit Fragen über Details zu belästigen, zumal niemandem verborgen bleiben konnte, dass Felicity den ganzen Vorfall einfach nur vergessen wollte. Da sie ansonsten körperlich und geistig einen völlig normalen und gesunden Eindruck machte und wesentlich mehr unter dem Verlust ihrer von den Marodeuren ermordeten Eltern litt, gelangte Elizabeth schließlich zu der Überzeugung, dass Felicity sich von der Demütigung und Schande erholt hatte.
Als sie jedoch nun ihre Cousine vor sich auf der Reisekiste sitzen sah, erkannte Elizabeth jäh ihren Irrtum. Felicity war verschwitzt und ungewaschen, umgeben von muffig riechendem Unterzeug, abgemagert von der schlechten Ernährung, das Haar schlaff herabhängend, die nackten Füße verdreckt, doch all das konnte nicht von dem wild leuchtenden Zorn in ihren Augen ablenken. Die Erinnerung an das, was die Schotten ihr angetan hatten, wühlte sie furchtbar auf. Jung und gesund, wie sie war, mochte sie die körperlichen Auswirkungen schnell überstanden haben, doch ihrer Seele waren Wunden geschlagen worden, von denen sie vielleicht nie wieder genesen würde. Das Schweigen dauerte an, bis Elizabeth es nicht länger aushielt.
» Ich wurde nicht vergewaltigt, falls du das meinst«, sagte sie ein wenig verzagt.
» Ich weiß. Gott steh mir bei, aber ich kenne die Anzeichen, und bei dir war davon nichts zu sehen.«
Elizabeth erschrak über das Leid in den Augen ihrer Cousine.
» Wir … haben nie darüber geredet, was dir geschehen ist«, sagte sie stockend. » Damals, als deine
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