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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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so schnell wie möglich von diesem Ort zu flüchten. Schnaubend hob sie den Kopf, als Elizabeth zu ihr trat. Um ihre Lefzen stand getrockneter Schaum, in ihren Nüstern klebte schmieriges Blut. Sie hatte sich das Maul an den schartigen Brettern ihres Gefängnisses wund gerieben. Das Fell sah nicht viel besser aus. Struppig, glanzlos und von Ungeziefer zerfressen, ließ es Pearl wie eine heruntergekommene alte Schindmähre aussehen. Elizabeth hätte weinen können vor Zorn und Sorge. Sie drängte sich an Pearl vorbei in den engen Verschlag und suchte nach dem Striegel, doch ihr Schwiegervater sprach ein Machtwort.
    » Du hast nach ihr gesehen, dabei lassen wir es jetzt bewenden.«
    » Aber ich möchte …«
    » Nein«, sagte er heftig. » Wir gehen wieder rauf. Ich habe keine Lust, mich in diesem stinkenden Loch stundenlang hin und her werfen zu lassen.«
    » Ich kann auch allein hierbleiben und auf Pearl aufpassen!«
    » Das kannst du nicht. Sie wird in Panik geraten und dich mit ihren Hufen zertrampeln. Wenn dir nicht vorher schon die wilden, gottlosen Kerle aus dem Logis die Kehle durchgeschnitten haben. Sie werden sofort über dich herfallen, wenn du allein hier unten bleibst. Was denkst du denn, was ihnen durch den Kopf geht, sobald sie dich hier finden? Viele von denen hatten monatelang keine Frau!«
    Elizabeth zuckte zusammen, was nur zum Teil an seinem herrischen Ton lag. Vor ihrem geistigen Auge erstanden blutige Bilder von dem, was man ihrer Cousine angetan hatte. Ihre eigene Phantasie reichte sicherlich nicht annähernd aus, um sich alles genau vorzustellen, doch hatten sich Felicitys Worte so tief in ihr Inneres gebrannt, dass sie die Gefahr, die Harold heraufbeschwor, förmlich riechen konnte. Er fasste sie beim Arm. » Jetzt komm, Kind.«
    Wie um seine Worte zu unterstreichen, legte sich das Schiff, unvermittelt von einer schweren Bö getroffen, ächzend auf die Seite. Pearl wieherte angstvoll, als sie aus dem Gleichgewicht geriet, doch die Gurte verhinderten, dass sie seitlich wegrutschte. Harold schlug die Tür des Gatters zu und zog Elizabeth hinter sich her, hinauf an Deck. Wegen des zunehmenden Seegangs mussten sie sich an den Holmen des Niedergangs festklammern und konnten dennoch kaum verhindern, dass sie hin und her geschleudert wurden. Nur mit Mühe erreichten sie das Oberdeck. Der Wind hatte Orkanstärke erreicht. Er fegte über das Schiff und schlug Elizabeth die Haare vors Gesicht. Ihre Röcke blähten sich unter den wilden Böen so stark auf, dass es sie beinahe hinwegfegte. Harold hielt sie unerbittlich am Arm gepackt und zerrte sie hoch zum Achterdeck. Nach ein paar Schritten machte sie sich los.
    » Es geht schon!«
    Der Sturm riss ihr die Worte von den Lippen, doch sie ließ sich nicht beirren. Sich mit beiden Händen festklammernd, folgte sie ihrem Schwiegervater, der ebenfalls unter der Wucht der Böen schwankte, zurück zur Großen Kajüte.
    » Ich gehe in meine Kammer«, schrie Harold gegen den brausenden Wind an.
    Sie nickte und setzte an, sich bei ihm zu bedanken, doch er hatte sich bereits ohne ein weiteres Wort umgewandt und erklomm den Niedergang zur Hütte.
    Statt in die Große Kajüte zurückzukehren, blieb Elizabeth im Steuergang stehen. Sie hielt sich an einem Ausleger des Gangspills fest und ließ sich das offene Haar ums Gesicht wehen. Die winddurchtoste Luft war frisch und kalt, sie schmeckte nach Salz und Regen. Der Steuermann stand am Ruder, das Gesicht vor Anstrengung verzogen. Elizabeth sah, dass er zu beiden Seiten mit Seilen festgebunden war. Sie erschauerte bei diesem Anblick, der nichts Gutes für die kommenden Stunden ahnen ließ, doch zugleich war sie von einer nie gekannten, rastlosen Aufregung erfüllt. Ein wildes Gefühl von Freiheit hatte sich ihrer bemächtigt. Die Welt um sie herum dehnte sich zu grenzenloser, sturmerfüllter Weite aus, und vom Horizont her rückten tobende, ungezähmte Ungeheuer heran, die sich rund um die Eindhoven zu schäumenden Riesen auftürmten, als wollten sie das Schiff im nächsten Moment verschlingen.
    Niklas Vandemeer stand auf der Schanze und schrie seine Befehle heraus, die der Bootsmann brüllend an die Mannschaft weitergab, unterstützt von seiner durchdringenden Pfeife. Die Matrosen refften weitere Segel und sicherten die übrigen mit Belegnägeln. Die Eindhoven rauschte durch ein Wellental, und der Bug schob sich so tief ins Wasser, dass Elizabeth sich mit aller Kraft festklammern musste, um nicht über das Deck zu

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