Inseln im Wind
so legte, dass Martha nicht anwesend sein konnte, etwa, weil sie mit befreundeten Damen Pikett spielte, zur Anprobe bei ihrer Schneiderin war oder ihren Mittagsschlaf hielt. Rose, die sie fortan begleitete, ließ sich leichter abwimmeln. Meist ergab es sich, dass die alte Irin kurzfristig etwas für Felicity besorgen musste und sich dabei länger als nötig Zeit ließ. Kurzum, Felicity schwebte wie auf Wolken, nichts konnte ihren Überschwang trüben, auch nicht die Nachricht vom Tode des Viscounts, die den Haushalt der Dunmores am Tag nach der Feier auf offiziellem Weg erreichte: Duncan Haynes ließ von seinem Bootsmann John Evers eine Botschaft nach Dunmore Hall bringen, in welcher er mit knappen Worten vom Hinscheiden Lord Raleighs berichtete und dessen Tochter sein aufrichtiges Beileid übermittelte.
Elizabeth zog sich für einige Tage völlig zurück, sie ließ sich das Essen auf ihre Kammer bringen und mied – bis auf Jonathan und Felicity – den Rest der Familie. Sie musste nicht nur den Tod ihres Vaters verwinden, sondern auch die Geschehnisse jener unseligen Nacht, die rückblickend eine einzige Offenbarung schuldhafter Verstrickungen zu sein schien. Sie selbst hatte zum wiederholten Male die Ehe gebrochen, und nur wenig später hatte Robert versucht, Deirdre zu vergewaltigen. Das Bestreben Harolds, das Unaussprechliche mit der Peitsche auszulöschen, hatte einen weiteren brennenden Graben in dieses Gefüge aus Schande und Scham geschlagen.
Sie saß in ihrem Lehnstuhl oder lag in ihrer Hängematte, die Tage verdösend. Tief in Gedanken versunken, betrachtete sie die flirrenden Streifen von Sonnenlicht, die durch die Spalten der Läden drangen, oder lauschte dem trommelnden Regen, der täglich in den frühen Morgenstunden fiel und die Luft mit beklemmendem Dampf erfüllte. Manchmal zog sie ihren Lehnstuhl auf die Loggia und starrte hinunter in den Patio, auf den murmelnden Brunnen, und stellte sich vor, der Löwe sei Duncan, bis in ihrem Kopf Bilder davon entstanden, wie er sie mit Haut und Haaren verschlang. Manchmal nahm die archaische Fratze auch die verzweifelten Züge von Robert an, nur um gleich darauf von jenen seines Vaters überlagert zu werden, ein zorniges Antlitz, das von Unheil und Tod kündete.
Felicitys zaghafte Versuche, ihr Trost zu spenden, ließ Elizabeth an sich abperlen wie den Regen, der Tag für Tag in Schwällen auf Dunmore Hall niederrauschte und die Welt in einen Nebel aus Tröpfchen hüllte, so feucht und schwer, das die Haut nass davon wurde und das Herz wie ein vollgesogener Klumpen den Atem abschnürte.
Sie ließ sich von den irischen Dienerinnen einen Badezuber füllen und lag stundenlang im Wasser, bis es ihr vorkam, als löse ihr Körper sich von innen heraus auf. Von dem Essen, das Martha ihr aufs Zimmer bringen ließ, verzehrte sie nur wenig, hauptsächlich aß sie Obst und etwas frischen Fisch. Nachts zündete sie Kerzen an und beobachtete bei zurückgeschlagenem Moskitoschleier die Stechmücken, die sich aus der Dunkelheit dem Licht näherten und es umtanzten wie Wesen aus einer anderen Welt, bis Felicity aufwachte und sich beklagte, weil das beharrliche Summen sie um den Schlaf brachte.
Einmal, ebenfalls bei Nacht, holte sie ihr Schreibzeug aus ihrer Truhe und begann einen Brief an Duncan, doch schon nach wenigen Zeilen hörte sie wieder auf, weil sie nicht wusste, was sie ihm sagen sollte. Es war fast, als sei dasjenige, was sie beide verband, dasselbe, was sie trennte, und sowohl diesem als auch jenem schien eine eigentümliche Wortlosigkeit innezuwohnen. Stattdessen schrieb sie einen Brief an ihren Vater, in dem sie ihm alles erzählte, vom Tag ihrer ersten Begegnung mit Duncan angefangen. Sie ließ nichts aus, die Worte strömten nur so aus der Feder aufs Papier, zusammen mit so vielen Tränen, dass die Tinte zu unleserlichen Schnörkeln zerfloss. Am Ende zerriss sie jeden einzelnen Bogen und verbrannte die schmalen Fetzen über einer Kerzenflamme, bis nichts mehr davon übrig war als ein Schälchen flockiger Asche.
Als sie nach vier Tagen wieder aus ihrem Gemach kam und unter Leute ging, tat sie so, als habe sie alles überwunden. Sie nahm die Mahlzeiten mit der Familie ein, war freundlich zu Robert und benahm sich auch zuvorkommend gegenüber Harold, als dieser von Rainbow Falls herunterkam, um den Sonntag in Dunmore Hall zu verbringen. Sie befasste sich mit einer Stickerei und spielte auf dem Virginal, als sei es ihr wichtig, den kleinen Freuden des Alltags
Weitere Kostenlose Bücher