Inseln im Wind
Küste entlang, ebenso wie der nach Holetown, der nächsten größeren Ansiedlung.
Ein gutes Dutzend Sklaven und irische Knechte waren bei der Arbeit zu sehen, mit in der Sonne blitzenden Macheten holzten sie die Stängel ab und warfen sie auf einen Haufen. Die Schwarzen sangen, während sie die großen Messer schwangen, ein merkwürdiger Singsang voller Kehllaute, dem jedoch bei aller Fremdartigkeit ein fast hypnotischer Rhythmus innewohnte. Der Aufseher der Noringhams, ein fetter Mittvierziger mit zerfleddertem Strohhut und schmutzig grauem Hemd, hockte dösend im Schatten eines Felsens. Er hatte die Backen voller Kautabak, aus dem offenen Mund rann ihm ein Faden bräunlicher Spucke. Als Elizabeth und Celia vorbeikamen, hob er die Hand und tippte höflich grüßend an seine Stirn. Dabei spie er kräftig aus, um gleich darauf nach ein paar mechanischen Kaubewegungen wieder einzunicken.
Der Weg, auf dem Elizabeth der Mulattin folgte, führte an den Behausungen der Arbeiter vorbei, strohgedeckten Holzhütten in einheitlich schlichter Bauart, mit niedriger Tür und ohne jeglichen Zierrat. Einen guten Steinwurf davon entfernt lagen die Sklavenquartiere, die sich nicht von den Hütten der Schuldknechte unterschieden. Sie befanden sich am Rande der nördlich vom Herrenhaus gelegenen Felder, nur durch eine Lichtung vom Zuckerrohr getrennt.
» Warum liegen die Sklavenhütten so weit weg von den Katen der übrigen Arbeiter?«, wollte Elizabeth wissen.
» Weil die Weißen und wir nicht zusammengehören«, erwiderte Celia in einem Tonfall, der anzudeuten schien, dies sei eine der dümmsten Fragen, die sie je gehört hatte.
Elizabeth ließ dieses Wir in sich nachklingen – anscheinend zählte Celia sich selbst eher zu den Schwarzen als zu den Weißen. Was für ein seltsames Leben es wohl war, mit einer Hautfarbe geboren zu sein, die einen zwischen zwei Welten gefangen hielt? Im Gegensatz zu den Schuldknechten hatten Sklaven kein Anrecht auf ihre Freiheit, denn kein zeitlicher Kontrakt begrenzte die Macht, die ihr Herr über sie ausübte. Sie blieben ihr Leben lang Sklaven. So auch Celia, denn sie galt, obwohl sie halb weiß war, als Schwarze und damit als Eigentum.
Vor einer der Hütten hockte ein alter Schwarzer im Staub. Zwischen seinen überkreuzten Beinen hielt er eine Trommel, ein mit Ziegenfell bespanntes Gebilde, das oben breit und unten schmal geformt war. Mit einem Schlegel erzeugte er dumpfe, weithin hallende Geräusche. Schnelle Schläge wechselten sich mit langsamen, harte mit sanfteren ab. Wie von einem Echo wurden sie in ähnlicher Manier von weither durch eine andere Trommel erwidert.
Als er Elizabeth und Celia bemerkte, stellte er die Trommel zur Seite. Er ergriff eine lange Kette, auf der Muscheln aufgezogen waren, und warf sie so von sich weg, dass die offenen Enden der Kette vor seinen Füßen liegen blieben, worauf er die Muscheln eingehend betrachtete. Er summte dabei in einer fremden, kehlig klingenden Sprache vor sich hin.
» Was tut der Mann da?«, fragte Elizabeth leise die Mulattin.
» Er bittet die Götter, ihm die Zukunft zu zeigen.« Erklärend fügte Celia hinzu: » Er gehört zum Stamme der Yoruba, die an viele Götter glauben. Sein Name ist Abass. Er ist ein Babalawo und kann die Odù lesen.«
» Was ist ein Babalawo? Eine Art Wahrsager?«
Celia nickte unbestimmt.
» Er ruft die Orisha an, die den Weg vom Jenseits ins Hier kennen. Sie können uns sagen, was geschehen wird.«
Bei ihren letzten Worten überlief Elizabeth ein Schauder, den sie sich nicht erklären konnte. Sie sah zu dem Alten hinüber. Er schaute auf, sein Blick senkte sich in den ihren, und für einen Augenblick fühlte sie sich auf eigentümliche Weise entrückt, fast so, als sei die Zeit für die Dauer eines Lidschlags stehen geblieben, um Raum für etwas Andersartiges zu schaffen, für das es keine Bezeichnung gab. Von irgendwoher, weit entfernt, war wieder der dumpfe Klang von Trommeln zu hören.
Der alte Mann hob lauschend den Kopf, mit seinem Blick den ihren festhaltend und die Kette mit den Muscheln halb erhoben. Sein dunkles, ledriges Gesicht, das krause graue Haar und die geduckt dasitzende schmale Gestalt schienen vor der Hütte zu einem Schatten zu verschwimmen und mit dem Hintergrund eins zu werden, bis Elizabeth die Augen zusammenkniff und wieder aufriss, damit das Trugbild sich auflöste und die Realität zurückkam. Sie hatte die Luft angehalten, doch gleich darauf war der rätselhafte Moment vorbei.
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