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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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Recht auf Religiosität wurde ihnen für gewöhnlich nicht zugestanden. Vereinzelt gab es zwar Bemühungen seitens der Pfarreien, die Schwarzen zu taufen und sie das Vaterunser zu lehren, doch die meisten Pflanzer wehrten sich gegen solche Bestrebungen, denn die Neger schienen ihnen nicht Mensch genug zu sein, um kirchlicher Segnungen teilhaftig zu werden. Dann nahm man schon lieber das Getrommel und die seltsamen Riten in Kauf, sofern sie vorher ihre Arbeit ordentlich getan hatten.
    Elizabeth hielt es nicht länger auf ihrem Lager, sie erhob sich und trat ans offene Fenster. Der entfernte Klang der Trommeln wurde untermalt vom stetigen Rauschen der Brandung und dem Flüstern des Windes in den Bäumen. Die Geräusche und Gerüche des nahen Dschungels erfüllten die Nacht. Das beständige, knisternde Singen der Zikaden. Das Kreischen eines Affen, ein lang gezogener Schrei wie aus einer fremden Welt. Dann waren wieder nur die Trommeln zu hören. Tief sog sie die Luft ein, und wieder spürte sie die eigenartige Rastlosigkeit, die sie schon bei Tage überkommen hatte, als sie bei den Sklavenhütten gewesen war. Kurz blickte sie zu Annes Bettstatt hinüber, doch von dort war bis auf regelmäßige Atemzüge kein Geräusch zu hören. Ohne nachzudenken schlüpfte sie aus der Kammer und schlich die Treppe hinab. Im Haus war es still. Die Dienstboten waren in ihren Quartieren, und auch die übrigen Bewohner von Summer Hill schliefen tief und fest. Abgesehen natürlich von Felicity, die immer noch nicht zurückgekehrt war. Und von den Sklaven, die dort draußen bei den Zuckerrohrfeldern die Trommeln schlugen. Ob sie in dieser Nacht dazu tanzten?
    Der Steinboden in der Halle war kühl unter ihren bloßen Füßen. Kurz überlegte sie, wieder hinaufzugehen und sich Schuhe zu holen, doch es zog sie fort. Sie drückte die schwere Holztür auf und huschte hinaus in die Nacht. Es war dunkel, aber nicht so finster, dass man nichts hätte sehen können. Der Mond übergoss alles mit mattsilbernem Licht. Fledermäuse zischten flatternd an ihr vorbei, Elizabeth zuckte zusammen, doch sie waren schon wieder fort, kaum dass sie aufgetaucht waren. Die Nacht war voller Geheimnisse, es war, als wollte das Rascheln und Raunen der Blätter sie immer tiefer in die Dunkelheit hineinlocken.
    Elizabeth folgte dem Pfad, der zu den Zuckerrohrfeldern und den Sklavenquartieren führte. Er kam ihr viel weiter vor als am Tage. Der Weg schien nicht enden zu wollen, doch ohne zu zögern schritt sie aus, vorbei an den dunklen Schuppen der Siederei und der Mühle und den Hütten der Iren, die um einen runden Platz herum gruppiert waren. Keine Menschenseele war zu sehen. Eine Brise fuhr ihr unter das Hemd, und sie gewahrte, dass sie im Nachtgewand war, doch es berührte sie nicht weiter. Eine seltsame Teilnahmslosigkeit hatte sich ihrer bemächtigt, aber zugleich waren ihre Sinne auf eine Art geschärft, wie sie es bisher nicht gekannt hatte.
    Der Nachtwind schien sich mit dem Wispern der Pflanzen zu verbünden und ihr den Weg zu weisen. Hier im Schatten der dichter wachsenden Bäume war es dunkler als beim Herrenhaus, doch es war, als wisse ein Teil von ihr, wohin sie zu gehen hatte. Das Getrommel war nun lauter, ein hallendes Rufen. Dann konnte sie die Schwarzen sehen. Sie hatten sich bei Fackelschein vor einer der selbstgebauten Hütten versammelt, dort, wo am Tage der Babalawo gesessen hatte. Er war ebenfalls unter ihnen. Elizabeth sah, wie er die Trommel schlug, ein gewaltiges Instrument, größer als das, das er bei Tage benutzt hatte.
    Die Schwarzen tanzten und sangen zum Rhythmus der Trommel, die dunklen, vor Schweiß glänzenden Körper wiegten sich im Takt hin und her. Ihre Stimmen schienen immer dieselben unverständlichen Worte zu wiederholen, eine unaufhörliche Fortsetzung kehliger Laute. Der Gesang war verhalten, ebenso wie das Getrommel, als wüssten sie, dass sie nicht zu laut sein dürften, sonst würde vielleicht sogar ihr großzügiger Herr es ihnen verbieten, weil sie die Nachtruhe störten.
    Unter den Schwarzen sah Elizabeth auch Akin. Es hätte sie wundern sollen, dass er hier war, schließlich gehörte er zu Rainbow Falls, das eine halbe Stunde Fußmarsch von hier entfernt lag. Doch auf unerfindliche Weise schien es ihr völlig in Ordnung zu sein, dass er hier tanzte und sang. Seine Gestalt wirkte wie die eines Giganten. Die kraftstrotzenden Beine bewegten sich stampfend auf und ab, der Kopf zuckte vor und zurück, Akin hatte die Welt um

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