Inseln im Wind
Irgendwo greinte ein Kind, und man hörte das Schimpfen einer Frau. Der alte Mann hatte den Blick gesenkt und die Kette weggelegt.
Die hohen Halme wiegten sich wieder raschelnd im Wind, die Trommeln waren verstummt.
Akin wartete, bis sich die Schritte der weißen Frau entfernt hatten. Geschmeidig kroch er aus der Hütte und legte Abass die Hand auf die knochige Schulter.
» Was hast du gesehen?«
» Den Tod des weißen Mannes.«
» Wann?«
» Noch vor dem übernächsten Sonnenaufgang.«
Akin spannte sich an. Wilde Genugtuung zeigte sich in seinen Zügen. Celia gab einen erschrockenen Laut von sich. Sie hatte Angst. Akin trat zu ihr und blickte auf sie hinab.
» Fürchte dich nicht. Die Orisha werden mit uns sein. Ogoun wird unser Schwert schmieden und das Blut der weißen Männer trinken.«
» Eines weißen Mannes«, wandte Abass mit seiner dünnen Greisenstimme ein.
Akin wandte sich ihm stirnrunzelnd zu.
» Aber …«
» Über die anderen sehe ich nichts. Noch nichts. Aber wir werden das Orakel erneut befragen.«
» Bald?«, wollte Akin drängend wissen.
Abass nickte mit halb geschlossenen Augen.
» In der Stunde des aufgehenden Mondes.« Zu Celia sagte er: » Du musst dich bereithalten.«
Vor Furcht krampfte sich ihr Herz zusammen, am liebsten wäre sie fortgelaufen. Doch es wäre sinnlos gewesen, denn wo immer sie auch war, die Götter würden sie finden.
21
D uncan zog das Boot, mit dem er hergekommen war, an den Strand. Es war fast dunkel. Die Schaluppe von Vandemeer lag in einiger Entfernung am Bootssteg, der zu Summer Hill gehörte.
Duncan machte sich unverzüglich daran, den Hügel zu erklimmen, genauso schnell, wie er befohlen hatte, das Beiboot zu Wasser zu lassen, als er gesehen hatte, dass Niklas in Richtung Holetown losgesegelt war. Was immer der Holländer heute am Vorabend der Entscheidungen mit William Noringham zu besprechen hatte – er wollte dabei sein. Seine Argumente waren ebenso gut wie die von Niklas. Wichtig war nur, sie vorzubringen, bevor William Noringham sich auf eine Linie festlegte, von der er später nicht mehr abweichen würde. Seine Stimme hatte in der Versammlung das meiste Gewicht. Auf ihn würden sie eher hören als auf Harold Dunmore, der bei der Abwägung widerstreitender Interessen nur eine Seite kannte: seine eigene. Unter Duncans Füßen rutschten ein paar Steine weg und polterten den Hang hinab.
» Ist da jemand?«, hörte er Niklas Vandemeer mit gedämpfter Stimme rufen.
Duncan erstarrte und verwuchs mit der Dämmerung.
» Hast du was gehört, Liebster?«
Das war Felicitys Stimme. Sie klang ein wenig atemlos. So als ob die beiden … Duncan grinste. Er hatte sich umsonst Sorgen gemacht. Vandemeer war nicht hergekommen, um Vorgespräche mit dem Vorsitzenden des Inselrats zu führen, sondern für ein Schäferstündchen am Strand.
» Wahrscheinlich nur eine Krabbe«, sagte Vandemeer nach einer Weile des Schweigens. Er lachte leise, dann meinte er mit dunkler Stimme: » Wie viele Bänder muss ich eigentlich noch aufschnüren, um ein bisschen nackte Haut von dir zu finden?«
» Oh, das ist … Ah! Was tust du da?« Felicity atmete schwer.
» Willst du es denn nicht?«, wollte Vandemeer drängend wissen.
Anstelle einer Antwort kam ein verzücktes Keuchen. Duncan hockte sich auf die Steine, um keine weitere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten.
22
E lizabeth warf sich unruhig auf ihrem Lager hin und her, sie fand keinen Schlaf. Es mochte Mitternacht sein oder sogar schon später. Sie hatte, um besser atmen zu können, die Läden aufgestoßen, auch auf die Gefahr hin, damit Mücken herbeizulocken. Der Mond stand voll und rund vor dem Fenster.
Vielleicht lag es an den Trommeln, dass sie keinen Schlaf fand. Die vibrierenden Schläge schienen der Nacht ein eigenes Leben zu geben. Ihr schwacher Widerhall übte einen magischen Sog auf Elizabeth aus, fast so, als riefen sie nach ihr.
Sie hatte William gefragt, was es mit dem Getrommel der Schwarzen auf sich habe. William hatte ihr erklärt, dass die Schwarzen sich die Trommeln aus ausgehöhlten Kalebassen bauten und gelegentlich auch zu ihrem Klang tanzten. Es gehöre zu ihrer Religion und ihren Stammesbräuchen, und es ihnen zu verbieten hieße, sie ihres Glaubens berauben zu wollen.
Seine Toleranz entsprach seinem Wesen und überraschte Elizabeth nicht weiter. Sie wusste, dass auf anderen Plantagen nicht so großzügig mit den Sklaven umgegangen wurde. Ein
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