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Inseln im Wind

Inseln im Wind

Titel: Inseln im Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Santiago
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sich herum vergessen. Nun erst bemerkte Elizabeth die Mulattin. Ein wenig abseits von den Übrigen stand sie da, mit schlaff herabhängenden Armen und aufgelöstem Haar. Ihr Kopf war auf ihre Schulter gesunken, als sei sie im Stehen eingeschlafen.
    Einer der Männer sprang vorwärts. Er hielt etwas Zappelndes in der Linken, Elizabeth erkannte erst beim zweiten Hinsehen, dass es ein kleines Tier war, vielleicht ein Kaninchen. In der rechten Faust hatte der Mann eine Machete, die im nächsten Moment niederfuhr und dem Tier den Garaus machte. Unter dem beschwörenden Singsang des Babalawo ließ der Mann das Blut von dem Kadaver vor Celia in den Staub sprudeln, dann strich er mit dem toten Tier über ihre nackten Arme und beschmierte sie mit dem Blut. Der Trommelschlag wurde schneller, und mit einem Mal bewegte sich die Mulattin. Sie fing an zu zucken, warf die Arme empor, schleuderte den Kopf herum, bis ihr Haar nach allen Seiten flog, und stieß dazu Laute aus, die nicht aus einer menschlichen Kehle zu stammen schienen.
    Elizabeth erzitterte. Sie spürte die Zuckungen der Frau in ihren eigenen Gliedern, aber es war keine Angst in ihr, nur Erwartung. Dann hörte es auf. Celia stand reglos da, ihr Körper war straff wie eine Bogensehne. Die Bernsteinaugen funkelten im Mondlicht wie von einer Lampe angestrahlt. Gebieterisch sagte sie etwas, alle Schwarzen verstummten sofort und standen still. Elizabeth fühlte sich entrückt, ihre Glieder gehorchten ihr nicht, und ihre Lippen bewegten sich ohne ihr Zutun, in einer gemurmelten Abfolge von Worten, denselben, die auch Celia sprach. Sie klangen nicht fremd, denn sie kamen aus ihrem Inneren und zugleich aus der tiefen Unendlichkeit der Nacht.
    Der Tag wird kommen.
    Die Weißen sind zahlreich, doch wir sind mehr. Die Wälder werden ihr Blut trinken. Der Himmel wird ihre Schreie hören. Das Feuer wird ihre Knochen fressen. Geschehen wird dies vor dem nächsten großen Mond.
    Der Tag wird kommen.
    Celia stieß einen klagenden Schrei aus, und Elizabeth schrie ebenfalls, denn in ihr und um sie herum schien sich alles aufzulösen, um sich nur einen Herzschlag später zu der gewohnten Welt zu verdichten, fast so, als sei sie ruckartig aus einem Albtraum aufgeschreckt. Und vielleicht war es wirklich nur ein Traum gewesen, denn die Schwarzen waren verschwunden, nur Celia war noch dort und rieb sich mit einem zerlumpten Tuch die Arme ab, während sie näher kam.
    » Mylady, was tut Ihr denn hier?«
    Elizabeth starrte die Mulattin verstört an.
    » Ich … weiß nicht. Wo sind die anderen?«
    » Welche anderen?«
    » Die Sklaven. Sie waren doch noch eben alle hier!«
    » Ihr irrt Euch. Die schlafen schon lange. Warum seid Ihr hergekommen?«
    » Die Trommeln … Ich habe gehört, was du gesagt hast.«
    » Wovon sprecht Ihr, Mylady?«
    » Von dem, was du gesagt hast … Der Tag wird kommen …« Die Worte klangen aus ihrem Mund unsinnig. Wie aus einem Traum. Und noch während sie sie aussprach, zerfaserten sie wie Nebel im Wind, sie wusste nicht mehr, wie es weiterging. Vielleicht hatte sie es wirklich geträumt. Ob man sich so fühlte, wenn man schlafwandelte? Sie hatte schon davon gehört, dass manchen Menschen dergleichen widerfuhr. Es war unmöglich auseinanderzuhalten, was Wirklichkeit und was Traum gewesen war. Alles schien ineinanderzufließen.
    » Was hast du da auf den Armen?«, fragte Elizabeth.
    » Oh, das ist Tierfett mit bestimmten Kräutern, es hilft gegen die Moskitos. Leider fressen sie mich sonst bei lebendigem Leib auf.«
    » Dieses Getrommel …« Elizabeth versuchte, ihrer Verwirrung Herr zu werden. » Ich habe es doch die ganze Zeit gehört. Warum tut ihr das? Warum ruft ihr eure Götter an? Was sagen sie euch?«
    Die Mulattin schlang sich die Arme um den Oberkörper, als müsse sie sich schützen.
    » Es sind nicht meine Götter. Ich bin getauft und in christlichem Glauben erzogen. Die heidnischen Riten der Schwarzen kümmern mich nicht.«
    Elizabeth wollte noch mehr fragen, doch ihr Inneres war mit einem Mal wie ausgehöhlt. Sie fühlte sich verlassen und einsam.
    » Es tut mir leid«, sagte sie leise. Sie wusste nicht, wofür sie sich entschuldigte, doch es kam ihr richtig vor, dass sie es tat.
    » Es tut mir leid«, sagte sie abermals, während sie sich rückwärtsgehend entfernte. Der festgetrampelte Lehm des Pfades war hart, die überall herumliegenden Pflanzenreste von dem Zuckerrohr stachen ihr in die Fußsohlen. Irgendwo im Gehölz quakte ein Frosch. Elizabeth

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