Inselsommer
meinem geplanten Mal- und Zeichenkurs mit der kleinen Paula erzählen.
»Das ist ja eine tolle Idee!«, freute die sich. »Tanja kann sich als alleinerziehende Mutter leider nicht darum kümmern, dass Paula gefördert wird. Aber wieso bist du eigentlich nicht Lehrerin geworden, wenn du doch Kunstpädagogik studiert hast?«
»Galerien haben mich schon immer magisch angezogen, und ich gebe zu, dass ich lange davon geträumt habe, selbst zu malen und auszustellen. Doch irgendwann wurde mir klar, dass ich weitaus talentierter bin, andere Künstler zu entdecken und zu fördern. Und für eine schulische Laufbahn war es dann eh zu spät. Übrigens, Leon hat mir erzählt, dass den Sylter Kindern so wenig geboten wird. Stimmt das?«
Bea nickte.
»Leider ja. Die meisten Leute müssen hier sehr schwer für ihr Geld arbeiten und sind froh, wenn sie ihren normalen Alltag geregelt bekommen, da bleibt leider eine ganze Menge auf der Strecke. Warum fragst du?«
»Aus keinem bestimmten Grund … ich finde es nur schade und habe den Eindruck, dass das Angebot für Kinder auf den anderen Inseln viel besser ist. Und vielleicht lässt sich ja etwas in der Art auch hier auf die Beine stellen.«
Bea schmunzelte.
»Grundsätzlich ist fast
alles
möglich, meine Liebe. Manchmal ist es nur eine Frage des Willens und der nötigen Kreativität.«
47 . Kapitel
W as machst du denn hier?«, fragte ich verwundert, als ich Montagmorgen beim Aufschließen der Tür des Büchernests Vero erblickte. Völlig versunken stand sie vor dem Schaufenster, als wolle sie die Titel der Bücher in der Auslage auswendig lernen. »Bist du aus dem Bett gefallen?«
»So ähnlich«, murmelte sie und trat von einem Bein auf das andere. »Ich wollte dich fragen, ob ich mich eventuell heute zu euch in die Küche gesellen könnte. Keine Sorge, ich fasse auch nichts an oder so … ich würde nur gern mal wieder unter Leute …«
»Hast du Streit mit Hinrich?«, fragte ich. »Na ja, wie auch immer. Komm erst mal rein, ist schließlich dein Reich.«
»Das ist lieb von dir«, murmelte Vero und trottete mit gesenktem Kopf hinter mir her.
»Moin, Vero, bist du aus dem Bett gefallen?«, sagte Olli, der ebenfalls gerade eingetroffen war und versuchte, seine
Motorrad-Frisur
wieder in Ordnung zu bringen.
»Genau dasselbe habe ich sie auch gefragt«, erwiderte ich und nahm Olli den Helm ab.
»Ach, tut das gut, wieder hier zu sein«, seufzte Vero und setzte sich auf einen Küchenstuhl. Mit sehnsüchtigem Blick sah sie sich um. »Dieser Duft, diese anheimelnde Atmosphäre …«
Olli und ich schauten uns verwundert an.
»Kann es sein, dass du deine Arbeit vermisst?«, mutmaßte ich und kam ins Grübeln.
Vero wirkte wie ein aus dem Nest gefallenes Vögelchen. Sie sagte leise:
»Es ist so langweilig zu Hause. Hinrich hat zu kaum etwas Lust, und wir hocken den ganzen Tag aufeinander, das ist auf Dauer ziemlich anstrengend.«
Betreten dachte ich, dass Bea noch vor einigen Wochen beinahe wortwörtlich dasselbe gesagt hatte.
»Aber was ist denn aus euren Plänen geworden? Ich dachte, ihr wolltet verreisen, ins Musical gehen, in Museen …«
»Ja, das dachte ich auch«, seufzte Vero. »Aber jetzt, wo es Hinrich wieder bessergeht, mag er auf einmal doch nicht. Gestern Abend sagte er zu mir, dass er so froh ist, wieder zu Hause zu sein, weil die Reha für seinen Geschmack viel zu lange gedauert hat.«
»Ist er Einsiedlerkrebs mit Aszendent Miesmuschel?«, witzelte Olli, und ich hätte gelacht, hätte Vero nicht so deprimiert ausgesehen.
Ich dachte an Doros Mann Thomas, der wie viele andere Männer, die das vierzigste Lebensjahr erreichen, lieber auf der Couch saß als zusammen mit Doro die Welt zu erobern. Während Frauen in diesem Alter häufig aufblühen und von Abenteuerlust beseelt sind, wurde es den Herren meist schnell zu viel, und sie zogen die Bequemlichkeit vor.
»Dann arbeite doch wieder, wenn du das Büchernest so sehr vermisst«, schlug ich vor, weil mir auf die Schnelle nichts anderes einfiel. »Und erzähl Bea von deinem Dilemma. Noch könnt ihr eine Reise für den Herbst buchen. Was glaubst du, wie Bea sich freut, wenn ihr dieses Jahr doch noch zusammen verreist.«
Bedauerlicherweise sah Vero alles andere als überzeugt aus. »Ich fürchte, das wird Hinrich überhaupt nicht passen. Seit seinem Infarkt ist er so anhänglich geworden. Manchmal erinnert er mich an einen kleinen Jungen, der seine Mama braucht. Momentan wird mir das alles ein bisschen zu
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