Inselsommer
Spielekonsole und Facebook abhängen.«
Auf Föhr hatte ich interessante Angebote gesehen, von Kerzenziehen über Töpfern bis hin zu Drachenbauen.
Wieso also nicht auf Sylt?
46 . Kapitel
R egen prasselte gegen die Fensterscheiben.
Im Pavillon war es so dunkel wie in meiner Seele.
Blitze zuckten über den Himmel, von weitem hörte ich leises Donnergrollen. Mein erstes Inselgewitter …
Obwohl wir am Abend zuvor noch sehr lange gefeiert hatten, war ich um acht Uhr aufgewacht, weil ich mal wieder schlecht geträumt hatte. Nach einem großen Becher Kaffee, den ich wie gewohnt im Bett trank, beruhigte ich mich nach und nach und dachte an die Lesung und den schönen Abend gestern im Büchernest. Wir hatten zusammengesessen, gegessen und viel gelacht.
Ina hatte zum Glück schnell gemerkt, dass Bea und Larissa keinen Wert auf ihre Anwesenheit legten, und war frühzeitig gegangen. Also musste Adalbert sich nicht mehr weiter verbiegen, was er sichtlich genoss, je weiter der Abend voranschritt. Zu meinem Bedauern war Bea trotz bester Laune gegen seine Flirtversuche immun. Offenbar wollte sie partout Single bleiben. Oder Adalbert war in ihren Augen nicht der Richtige für sie …
Unbemerkt huschte ich ins Bad im Kapitänshaus. Zurück im Pavillon, überlegte ich, wie ich die Zeit bis zur Yogastunde nutzen sollte. Spazierengehen schied aufgrund des schlechten Wetters aus, und ich war zu durcheinander, um zu lesen. Ich hätte liebend gern mit Doro telefoniert, die jedoch das Wochenende zusammen mit der ganzen Familie bei ihrer Schwägerin in Berlin verbrachte.
Meine Augen wanderten auf der Suche nach Inspiration zur Kommode, und mir fielen wieder Neles Malutensilien ein.
Ob ich es nach so langer Zeit wieder wagen sollte?
Ich entschied mich für eine einfache Skizze. Als Vorlage für das spätere Acrylbild wählte ich einen bunten Blumenstrauß aus Beas Garten, den ich gestern gepflückt und in eine hellblaue, bauchige Kanne aus Emaille gestellt hatte. Kein besonders originelles Motiv, aber für den Anfang reichte es.
Nachdem ich den weichen Bleistift gespitzt und mir den Block so zurechtgelegt hatte, dass durch das Fenster wenigstens etwas Tageslicht darauf fiel, erfasste mich ein Kribbeln und meine Hände zitterten. Seit Jahren hatte ich mit Kunst zu tun und war kaum mit etwas anderem beschäftigt gewesen, als Bilder zu begutachten, zu beurteilen und zu bewerten.
Und nun stand ich plötzlich wieder selbst am anderen Ende der Rollenskala.
Ich versuchte, mich so gut es ging von meiner Nervosität zu befreien und mir zu sagen, dass ich nur zum Zeitvertreib eine kleine, kreative Fingerübung machte. Während des Studiums hatte ich Stunden, ja Tage und Nächte mit Kommilitonen in einem billigen, zugigen Hinterhof-Atelier verbracht und gemalt, bis ich vor Müdigkeit beinahe zusammenbrach.
In meiner Erinnerung waren das die glücklichsten Stunden meines Lebens gewesen, bis ich Patrick kennengelernt und erfahren hatte, wie sich die große Liebe anfühlte.
Mein Interesse an der Malerei war allmählich einer großen Sehnsucht nach Nähe und liebevoller Verschmelzung gewichen.
Beim Gedanken an Patrick durchfuhr mich wieder einmal ein leiser Stich, mein stetiger Begleiter der vergangenen Wochen.
Um dem Schmerz etwas entgegenzusetzen, begann ich zu zeichnen. Dabei erging es mir ein bisschen wie Corinna Hartmann bei ihrer Lesung. Meine ersten Striche waren von unsicherem Zittern geprägt, von großer Angst vor dem leeren Papier. Doch es dauerte nicht lange, da flog der Stift beinahe über das Blatt, zeichnete Linien und Schatten, ergänzte Details und erschuf eine ganz eigene Welt, die mit dem eigentlichen Motiv kaum mehr etwas zu tun hatte.
Staunend und gleichzeitig stolz sah ich mir selbst zu, als sei ich nur eine heimliche, stille Beobachterin. Kaum war die Skizze fertig, verspürte ich unbändige Lust auf Farbe. Rasch nahm ich die Mischpalette, drei verschiedene Pinsel und die Farbtuben aus der zweiten Schublade. Dann füllte ich Wasser in ein Glas, legte den Lappen bereit und bedeckte den Tisch mit einer alten Ausgabe des
Sylter Tagesspiegels.
In diesem Moment klopfte es an der Tür.
»Hier ist Paula«, hörte ich eine zarte, leicht unsichere Kinderstimme. »Ich habe Kuchen dabei. Lässt du mich herein?«
Verwundert öffnete ich die Tür und zog die Kleine in das Innere des Pavillons. Sie hatte ihren knallroten Schirm mit den weißen Punkten dabei, den ich so sehr mochte. Neugierig sah Paula sich um, während ich
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