Inselsommer
zwar nicht, aber ich könnte eine Versicherung auflösen, die meine Eltern für meine berufliche Zukunft abgeschlossen haben. Es würde bestimmt nicht ganz reichen, doch mit etwas Glück und einem Kredit müsste es gehen.«
Obwohl ich ja selbst mit dem Verkauf der Galerie liebäugelte, traf mich Jules Vorschlag mit voller Wucht, und mir fiel vor lauter Überraschung beinahe das Handy aus der Hand. Die Frage
Was wäre, wenn?
in Gedanken durchzuspielen war eine Sache – aber diese Idee plötzlich in die Realität umzusetzen? Obwohl mir ArtFuture in letzter Zeit eher wie ein Klotz am Bein vorgekommen war, konnte ich mir trotzdem nicht recht vorstellen, die Galerie auf einmal aufzugeben, immerhin bot sie eine lukrative Einnahmequelle. Was man von den Inselkrabben nicht behaupten konnte, zumal sie noch nicht einmal existierten, außer in meinem Kopf.
»Ich denke drüber nach, Jule. Okay? Lass mir ein bisschen Zeit, aber ich verspreche dir, dich nicht allzu lange warten zu lassen. Wir sollten möglichst bald eine Entscheidung treffen, wie es weitergeht.«
Nach dem Telefonat setzte ich mich aufs Bett. Erst Patrick, dann die Galerie. Wollte das Schicksal, dass ich mich nun von allem trennte, was mich einmal ausgemacht hatte?
Sollte ich all diese existenziellen Schritte wirklich gehen und alle Brücken hinter mir abbrechen?
55 . Kapitel
F reitagabend stand ich zusammen mit Larissa, Rieke und Bea nach Ladenschluss vor dem Regal mit Anthologien, Lyrik und Geschenkbüchern. Rieke nahm einen Titel nach dem anderen heraus und verglich ihn mit einer Liste auf ihrem Klemmbrett, während Larissa ihr dabei über die Schulter schaute.
»Bis auf wenige Ausnahmen erfüllt kein Buch hier die erforderliche Drehzahl«, resümierte Rieke und machte ein sorgenvolles Gesicht.
Bea drehte sich zu mir um.
»Das bedeutet im Klartext, dass sich jedes Buch in einer bestimmten Menge pro Jahr verkaufen muss, sonst lohnt es sich nicht«, erklärte sie. »Die meisten Buchhandlungen schicken Bücher bereits nach drei Monaten wieder an den Verlag zurück, wenn sie sich nicht schnell genug verkauft haben. Wir hingegen versuchen, den Neuerscheinungen so lange wie möglich eine Chance zu geben. Und möglichst Titel zu führen, die sich vielleicht nur einmal im Jahr verkaufen.«
»Aber das macht ja auch die Qualität und den Charme eures Sortiments aus«, entgegnete ich und beäugte neugierig den Stapel, den Rieke mittlerweile aus dem Regal gezogen hatte. Darunter waren Klassiker von Kästner, Ringelnatz oder Geschichtensammlungen zu den einzelnen Jahreszeiten. »Und was wollt ihr machen? Die ganze Abteilung auflösen?«
Bea nickte.
»Das meinte Larissa neulich mit dem längst überfälligen Umbau. Die Handvoll Bücher, die sich häufiger als fünfmal pro Jahr drehen, werden wir einfach anderen Warengruppen zuordnen und dieses Regal abbauen. Dasselbe gilt für einige Sachbuchbereiche und die fernöstlichen Weisheiten. In einer Großstadt wie Hamburg mag Esoterik der große Renner sein, aber bei uns interessiert sich nur selten jemand dafür. Außerdem müssen wir ja irgendwo den Platz für deine Inselkrabben hernehmen.«
Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen.
»Wollt ihr nicht lieber warten, bis ich weiß, wie ich das alles finanziere? Ich habe immer noch keine Antwort von Ineke Alwart und überlege, ob ich zur Sicherheit nicht doch auf das Angebot meiner Mitarbeiterin Jule eingehe und die Galerie an sie verkaufe. Das wird zwar alles sicher noch dauern, aber …«
»Du willst nun doch verkaufen?«, fiel Larissa mir ins Wort und riss entsetzt die Augen auf.
»Und von welcher Antwort sprichst du?«, wollte nun auch Bea wissen, während Rieke fragend von einer zur anderen blickte.
»Ich habe Ineke vorgeschlagen, auszustellen und mit dem Erlös die Inselkrabben zu unterstützen. Adalbert hat mir nämlich erzählt, dass sie viel für die Sylter Tafel und andere gemeinnützige Organisationen auf der Insel spendet, also habe ich sie gefragt, ob sie nicht auch etwas für die Kinder auf der Insel tun möchte.«
Bea musterte mich von oben bis unten, und mir wurde heiß. Hatte ich gerade etwas völlig Idiotisches gesagt?
War meine Idee so verrückt, dass Bea sich fragte, ob sie mich weiter in ihrem Pavillon wohnen lassen sollte?
»Paula, Paula, du wirst mir immer unheimlicher«, begann sie, und ich bekam endgültig weiche Knie. »Du bist ein solches Wunder an Ideen und Tatkraft. Da könnte sich mancher eine Scheibe davon abschneiden. Mit Ineke
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