Inselsommer
dabei, wäre unser kleiner Ausflug ein Ding der Unmöglichkeit.«
»Wo schläfst du eigentlich heute Nacht?«, setzte ich meine Fragestunde fort, obwohl ich nichts lieber getan hätte, als meinen Sehnsüchten freien Lauf zu lassen. Mit Vincent fühlte ich mich in die Zeit zurückkatapultiert, in der alles noch ein wenig
unschuldiger
war. In der ein handgemaltes Herz auf einem Zettel mehr sagte als tausend Worte.
»Bei Nele«, antwortete Vincent. »Das stört dich doch hoffentlich nicht, oder?« Ich biss mir auf die Lippen und versuchte so teilnahmslos wie möglich auszusehen, während ich innerlich vor Eifersucht brodelte.
»Nun mach nicht so ein Gesicht«, sagte Vincent. »Diese Insel ist furchtbar teuer, außerdem hätte ich so spontan sowieso nichts bekommen.« Ich dachte daran, dass ich ein Zimmer für Doro gebucht hatte.
Wo ein Wille, da ein Weg!
»Darf ich dich im Übrigen daran erinnern, dass du gar keinen Anspruch auf mich hast? Du bist diejenige von uns beiden, die nicht nur gebunden, sondern sogar verheiratet ist. Du hast mir vor deiner Abreise klargemacht, dass das mit uns beiden nichts weiter ist als ein schöner Traum, der sich nicht erfüllen wird.«
»Kann es sein, dass wir gerade unseren ersten Streit haben?«, fragte ich ärgerlich und stand auf.
Ich hätte wirklich lieber im Bett bleiben und Vincent aus dem Weg gehen sollen!
Vincent sprang ebenfalls auf und packte mich unvermittelt an der Schulter.
Dann drehte er mich zu sich um und küsste mich.
Ich hatte keinerlei Chance, mich zu wehren, denn dieser Kuss ging mir durch Mark und Bein. Vollkommen überwältigt schlang ich meine Arme um seinen Hals und schmiegte mich dicht an ihn. Mein Herz hämmerte wild in meiner Brust, und ich hatte das Gefühl, mich aufzulösen …
Warum musste alles so kompliziert sein?
»Ich habe Neles Wohnung übrigens für mich allein, weil sie woanders schläft«, flüsterte Vincent mir ins Ohr.
Um mich herum begann sich alles zu drehen.
10 . Kapitel
A m frühen Sonntagnachmittag ging ich vor Nettes Inn auf und ab, während ich auf den Zug wartete, mit dem Doro kommen sollte. Gedankenverloren betrachtete ich die knallroten Plastiktüren des Bahnhofscafés, die an ein Campingzelt erinnerten. Davor standen Blumenkübel und eine steinerne Engelsfigur, die sich in gebückter Haltung auf ein Schwert stützte.
»Paula, hallo!«, schallte Doros Stimme über den Bahnsteig, und ich war froh, in ihr vertrautes Gesicht schauen und sie in den Arm nehmen zu können. »Du siehst toll aus, die Nordseeluft scheint dir zu bekommen.« Sie lachte und stupste mich in die Seite. »Oder liegt’s an etwas anderem?«
Beschämt dachte ich daran, dass ich heute schon einmal hier gewesen war, um Vincent auf dem Weg nach Hamburg zu verabschieden.
»Komm, bringen wir erst einmal deine Sachen in die Pension, dann können wir in aller Ruhe quatschen. Was hältst du von frischen Waffeln mit Sauerrahm und Pflaumenmus in der Kleinen Teestube? Laut Bea gibt’s in Keitum kaum was Besseres!«
»Klingt nach einem super Plan!«, antwortete Doro strahlend.
Ihre dunklen Locken wippten fröhlich, und ihre hellgrauen Augen blitzten. Dafür, dass sie gerade nicht so gut drauf war, sah sie erstaunlich frisch aus!
Eine halbe Stunde später standen wir vor dem reetgedeckten Friesenhaus, das durch die weiß-blaue Eingangstür und die weißen Fenster mit den hellen Gardinen auf Anhieb einen einladenden Eindruck machte.
Ich hatte schon viel über die beliebte Teestube gelesen und verstand sofort, weshalb so viele Stammgäste hier frühstückten oder eine heiße Krabbensuppe aßen.
Über die hübsch möblierte Terrasse mit den Strandkörben und den üppig bepflanzten Blumenkübeln betraten wir die Teestube. Die Holzpaneele waren weiß getüncht, und die dunklen Möbel wirkten gemütlich. Kurze Zeit später saßen wir vor zwei Kännchen dampfendem Tee und himmlisch duftenden Waffeln, während draußen sanfter Nieselregen einsetzte.
Hier hätte ich ewig bleiben können.
»Wie hat Thomas reagiert, als du ihm eröffnet hast, dass du mich auf Sylt besuchen willst?«, fragte ich. Doro fuhr sich genüsslich mit der Zungenspitze über ihre vollen, rosigen Lippen, trotzdem blieb ein Klacks Sauerrahm hängen.
»Darf ich mal?« Schmunzelnd tupfte ich ihren Mund mit der Serviette ab, so, wie Doro es sonst bei ihren Kindern tat.
»Zunächst war er überhaupt nicht begeistert, weil er heute zum Golfspielen wollte und bereits seine Felle davonschwimmen sah. Aber
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