Inselsommer
als er mitbekam, dass Schwiegermonster das Regiment übernimmt, fand er die Idee plötzlich großartig. Er hat mich sogar ermuntert, bis zum nächsten Wochenende zu bleiben. Wie findest du das?«
»Er scheint wohl doch verständnisvoll zu sein«, antwortete ich, bis mir wieder Doros Verdacht einfiel. Wenn Thomas wirklich eine Affäre hatte, konnte seine Frau ihm natürlich keinen größeren Gefallen tun, als eine ganze Woche von der Bildfläche zu verschwinden.
»Aber reden wir lieber von dir, Paula. Wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen? Was macht dein Gefühlschaos? Hältst du dich immer noch tapfer an die Kontaktsperre mit Vincent?«
»Er war gestern Abend hier«, murmelte ich und senkte betreten den Kopf. Doro fiel die Kuchengabel aus der Hand, die mit einem sanften
Pling
auf dem Terrakotta-Fußboden landete. Sofort eilte eine aufmerksame Kellnerin herbei und gab ihr eine neue. »Nele hatte Jule und ihn auf ihre Abschiedsparty eingeladen, und du kannst dir ja vorstellen, was diese Nachricht bei mir ausgelöst hat. Ich fahre extra hierher, um mich ein wenig zu beruhigen und zu sortieren, und dann das! Erst hab ich auf kleines Schulmädchen gemacht und krank gespielt, aber dann fand ich das Ganze – und vor allem mich – plötzlich total albern und bin doch hingegangen.«
Doro starrte mich mit offenem Mund an.
»Als Vincent mich dann fragte, ob wir reden können, haben wir die Party kurz verlassen und sind am Watt spazieren gegangen. Dann haben wir uns ein bisschen gezankt und uns … nun ja … geküsst …«
Im Gesicht meiner Freundin spiegelte sich eine Mischung aus Sorge und Neugier wider.
»Du willst mir doch nicht etwa sagen, dass ihr …?«
»Nein, nein, keine Panik. Ich habe nach dem Kuss ein so schlechtes Gewissen bekommen, deshalb sind Vincent und ich schleunigst zurück auf Neles Party gegangen, obwohl er nicht gerade begeistert war, wie du dir sicher vorstellen kannst. Kurz nach Mitternacht bin ich dann ins Bett, während Nele, Vincent und eine Handvoll Leute noch nach Kampen gefahren sind, um in der Sturmhaube weiterzufeiern. Als ich ihn heute Morgen zum Frühstück traf, hatte er ebenso wie ich kaum geschlafen und war nicht gerade besonders freundlich.«
»Was man ja auch verstehen kann«, sagte Doro. »Und was geschah dann?«
»Danach habe ich Vincent in die Bahn gesetzt. Er war immer noch ziemlich beleidigt. Bald kann ich meine Zelte vor Nettes Inn aufschlagen oder gleich selbst ein Bahnhofscafé aufmachen!«
»Tolle Idee, denn dann könntest du für immer auf dieser schönen Insel bleiben«, seufzte Doro schwärmerisch und schenkte uns beiden Tee nach. »Aber irgendwie werde ich nicht schlau aus dir. Du bist angeblich bis über beide Ohren verliebt und redest in letzter Zeit von fast nichts anderem als von Vincent und seiner kleinen Tochter. Dann verbietest du dir jeden Kontakt und flüchtest nach Sylt, weil du im Grunde von ihm loskommen willst. Aber im nächstbesten Moment sitzt du knutschend mit ihm auf einer Bank. Wie soll das bitte schön weitergehen, wenn du wieder in Hamburg bist? Meinst du wirklich, du kommst zurück und deine Situation hat sich bis dahin wie durch Zauberhand von selbst gelöst? Was sollte denn deiner Ansicht nach passieren? Hoffst du, dass du plötzlich vom Vincent-Virus kuriert bist? So etwas gibt’s doch nur in Büchern oder Filmen.«
Autsch! Doro brachte die Dinge schmerzhaft auf den Punkt.
»Ach, ich weiß auch nicht. Ich liebe Patrick, ich schätze ihn, ich will ihm nicht weh tun. Aber ich spüre deutlich, wie sehr mir etwas in unserer Beziehung fehlt, das ich mir seit langem wünsche. Natürlich weiß ich, dass das Jammern auf hohem Niveau ist und dass mich viele Menschen um mein scheinbar so tolles Leben beneiden. Aber wenn du in dir eine gewisse Leere fühlst, helfen dir weder eine schöne Wohnung noch ein gut gefülltes Konto noch ein Job, der dir Spaß macht. Und letztlich auch kein Ehemann, dem du in erster Linie nur eins vorwerfen kannst, nämlich dass du ihm nichts vorwerfen kannst. O Gott, was rede ich da eigentlich? Das klingt alles so furchtbar undankbar. Ich finde mich gerade egoistisch, inkonsequent – und einfach nur unausstehlich!«
»Aber du solltest dich und deine Bedürfnisse ernst nehmen. Die Leere, von der du sprichst, hat ja einen Grund, und der heißt Kinderlosigkeit. Du leidest seit Jahren darunter, dass Patrick zeugungsunfähig ist, und siehst bei Vincent, wie liebevoll er mit seiner Lilly umgeht, auch wenn die beiden
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