Inselsommer
Pailletten-Top, für das ich ihr sofort ein Kompliment machte.
»Danke, Sie sehen aber auch toll aus«, entgegnete Rieke. »Haben Sie Lust auf einen Aperitif, oder wollen Sie erst mal ein Glas Wasser?«
Ich nahm ein Wasser.
»Na, amüsieren Sie sich, Paula?«, fragte Adalbert Vrohne, der plötzlich vor mir stand. »Ist doch immer wieder komisch, wenn man kaum jemanden kennt, nicht wahr?«
Ich nickte zustimmend und schaute mich suchend um. Irgendwie wollte ich
gewappnet
sein, wenn Vincent durch die Tür trat. »Bea hat mir übrigens erzählt, dass Sie gelegentlich unter starken Kopfschmerzen leiden. Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen Tipps für einfache Übungen, die schnell helfen. Kommen Sie doch Montag bei mir vorbei«, schlug Adalbert vor. Ich war gerührt. Man traf nicht alle Tage jemanden, der so einfühlsam war!
»Vielleicht braucht Frau Gregorius nur ein wenig frische Luft«, hörte ich auf einmal eine Stimme hinter mir – Vincent! – und fühlte mich trotz aller inneren Vorsichtsmaßnahmen überrumpelt. »Haben Sie einen Moment Zeit für mich?«
Ich versuchte, meine Aufregung unter Kontrolle zu bringen und gleichmäßig zu atmen. »Ja, natürlich«, antwortete ich und hoffte, dass Adalbert das leichte Zittern in meiner Stimme nicht bemerkte. »Ich hole nur eben meine Jacke. Aber halt! Wo ist eigentlich Jule? Sie wollte doch auch mitkommen.«
»Sie konnte leider nicht, weil sie Stress mit ihrem Freund hat und sich lieber wieder mit ihm vertragen wollte, anstatt das Wochenende ohne ihn zu verbringen«, entgegnete Vincent und zwinkerte schelmisch.
Was hatte das denn jetzt zu bedeuten?
»Ist es in Ordnung, wenn ich Sie einfach so stehen lasse?«, fragte ich Adalbert, der jedoch lächelnd abwinkte und sagte:
»Ein kleiner Spaziergang in netter Begleitung wirkt mindestens so gut wie zehn Minuten Yoga. Und keine Sorge, es gibt so viel zu essen, dass Sie bestimmt nicht hungern müssen, falls Sie wider Erwarten etwas länger weg sind als geplant.«
Nachdem ich Bea und Nele Bescheid gegeben hatte, gingen wir nach draußen. Den Weg bis zum Watt hinunter sprach keiner von uns ein Wort. Ich hatte Angst, dass Vincent das Klopfen meines Herzens hörte, das vollkommen aus dem Takt geraten war. Gleichzeitig sehnte ich mich danach, dass er mich in den Arm nahm und mir versprach, dass alles gut werden würde, wenn ich nur bei ihm blieb.
»Und? Tut dir der Perspektivwechsel gut?«, eröffnete Vincent schließlich das Gespräch und zog mich auf eine Bank am Wegesrand. Ein wenig widerstrebend setzte ich mich neben ihn. »Schau dir nur diesen traumhaft schönen Abendhimmel an, er wirkt wie gemalt«, seufzte er träumerisch und nahm plötzlich meine Hand. Beglückt von diesem gestohlenen Augenblick des Glücks, der Natur und der romantischen Stimmung, die in der Luft lag, schmiegte ich mich entgegen aller Vernunft an ihn und lehnte meinen Kopf an seine Schulter.
Ich beobachtete, wie die Möwen am Horizont kreisten und versuchten, Beute zu machen. Ab und an stieß eine herab, um einen Schlickkrebs oder einen kleinen Fisch zu fangen. Während dieses Naturschauspiels atmete ich die frische, würzige Luft ein und wünschte, dieser wundervolle und einzigartige Moment ginge nie zu Ende.
»Wenn es doch immer nur so einfach wäre«, murmelte ich. »Der Blick auf das Meer macht einem klar, welch ein winzig kleiner Bestandteil dieses Universums man ist und dass man sich meist viel zu wichtig nimmt, findest du nicht auch?«
Vincent streichelte mir liebevoll übers Haar und lachte. »Klingt irgendwie esoterisch, aber natürlich hast du recht.« Ich konnte seinen Atem spüren, seine Gefühle spiegelten sich in seinen Augen wider, und ich wünschte mir nur eines: ihn endlich zu küssen. Doch der Gedanke an Patrick, der vorhin angerufen und mir viel Spaß auf der Party gewünscht hatte, schob sich plötzlich wie ein Stoppschild zwischen uns.
»Was ist denn nun eigentlich wirklich mit Jule?«, wollte ich wissen und hoffte, dass das schier unerträgliche Knistern zwischen uns nachließ. »Wieso ist sie nicht hier?«
»Sie fühlte sich heute nicht so und hatte keine große Lust, sich noch in die Bahn zu setzen. Wir kommen zwar auch ohne dich ganz gut in der Galerie klar, aber es ist schon anstrengend. Seit der Vernissage rennen uns die Kunden die Bude ein.«
Endlich einmal eine gute Nachricht!
»Ehrlich gesagt habe ich ihr geradezu dazu geraten, daheim zu bleiben, weil ich gehofft hatte, dann mehr mit dir allein zu sein. Wäre Jule
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