Inselsommer
einem Apartment, wo ich dich einfach so aufnehmen könnte. Und wer soll dann auf die Kinder aufpassen? Montag haben sie doch wieder Schule. Hast du denn mit Helen gesprochen? Könnt ihr beiden euch nicht heute einen schönen Abend machen oder morgen etwas zusammen unternehmen?«
»Ja, schon, aber es ist irgendwie nicht … dasselbe. Ich würde gern einmal einfach etwas für mich tun, ohne dass jemand etwas von mir will oder mich anmeckert, weil mir angeblich das Abendessen missglückt ist. Dauernd muss ich Rücksicht auf andere nehmen.«
Ich überlegte.
Neles altes Zimmer war noch frei. Momentan nutzte Bea es als Yoga– und Meditationsraum. Sollte ich sie fragen?
Ich verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder.
Wenn Doro nach Sylt kommen wollte, musste sie sich in einem Hotel einmieten.
»Dann sag Thomas, dass du eine kleine Auszeit brauchst und mich besuchen möchtest. Soll er sich doch zur Abwechslung mal um Emma und Nils kümmern und sehen, wie anstrengend das ist. Ich telefoniere inzwischen herum, vielleicht finde ich ja sogar etwas ganz in der Nähe. Wollen wir es so machen?«
»Das wäre wirklich super«, hauchte Doro und klang erleichtert. »Wenn alles klappt, könnte ich schon morgen Abend da sein.« Wir verabredeten, dass sie zunächst mit Thomas sprach und sich wieder bei mir meldete. Erst dann wollte ich eine Unterkunft für sie suchen, in der Saison bestimmt kein leichtes Unterfangen.
Zwei Stunden und ein Nachmittagsschläfchen später verkündete Doro bereits, wesentlich besser gelaunt, dass sie am nächsten Tag um sechzehn Uhr in Keitum eintreffen würde. Ich hatte Glück und konnte ein Zimmer in einer Pension um die Ecke ergattern, das gerade aus Krankheitsgründen storniert worden war. Doro blieb bis Mittwoch, ihre Schwiegermutter übernahm währenddessen das häusliche Regiment bei Familie Lehmann. Vielleicht halfen diese wenigen Tage ja, um meine Freundin auf andere Gedanken zu bringen.
Mittlerweile war es kurz vor sechs, bald würde die Party beginnen. Ich hörte Bea im Erdgeschoss rumoren und mit Töpfen klappern. Soweit ich wusste, wollte sie eine Kartoffel-Krabben-Suppe zum Büfett beisteuern.
Ob ich ihr bei der Vorbereitung helfen sollte?
Ohne weiter nachzudenken, stand ich auf, ging kurz ins Badezimmer und dann nach unten.
»Na, hast du Hunger?«, fragte Bea lächelnd und deutete auf einen frisch gefüllten Obstkorb. »Ist zwar nichts Deftiges, dafür aber gesund und lecker!«
Ich nahm mir einen appetitlich glänzenden Apfel und biss genussvoll hinein, so dass der Saft nach allen Seiten spritzte.
»Das sind die Winteräpfel meines Nachbarn Ole Hinrichs, der links von mir wohnt. Haben sich gut gehalten, nicht wahr?«, fragte Bea, während sie frischen Knoblauch hackte.
Ich nickte und amüsierte mich, dass Bea entgegen ihrer sonstigen Gewohnheiten eine Küchenschürze trug und sehr geschäftig wirkte. Auf der Arbeitsplatte lagen mehrere Säckchen mit Kartoffeln und Suppengemüse.
Entschlossen zu helfen, kramte ich in der Küchenschublade nach dem Sparschäler, schnappte mir das erste Säckchen und setzte mich an den wackligen, kleinen Holztisch, wo bereits Zeitungspapier lag.
»Dann geht es dir also wieder gut?«, stellte Bea fest. »Das ist schön! Du siehst auch viel besser aus als heute Vormittag und hast auch wieder Farbe im Gesicht. Kommst du jetzt vielleicht doch mit?« Ich nickte anstelle einer Antwort und konzentrierte mich auf die Arbeit. Meine Hände hielten die noch nach Erde duftenden Kartoffeln und befreiten sie Stück für Stück von ihrer goldgelben Schale.
Das Ganze hatte etwas unglaublich Beruhigendes, beinahe Meditatives. Schon als Kind konnte ich stundenlang in eine Tätigkeit versinken, während ich vor mich hinträumte oder ein Lied summte. Heute träumte ich nicht von Feen, Hexen oder Trollen, sondern von einem Prinzen namens Vincent und spürte, wie ich mich trotz einer gewissen Ängstlichkeit auf unser unerwartetes Wiedersehen zu freuen begann.
Zwei Stunden später überreichte ich Nele mein Abschiedsgeschenk, einen Schutzengel, den ich im Büchernest gekauft hatte, und einen exklusiven Reiseführer. Vincent und Jule waren noch nicht eingetroffen, dafür aber an die fünfzig Gäste, die allesamt betonten, wie sehr sie Nele vermissen würden, sie umarmten und Fotos machten. Larissa und Vero kümmerten sich um das üppig bestückte Büfett, Bea übernahm zusammen mit Rieke, der Auszubildenden, die Bar. Heute trug Rieke ein glitzerndes, giftgrünes
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