Inselsommer
Pferde?«, fragte Rieke besorgt, während ich nach einem Taschentuch suchte. Zum Glück fand ich eines in meiner Jeans.
»Leider doch«, schniefte ich, und schon kullerten mir die Tränen über die Wangen. »Ich muss nur das Foto eines Ponys sehen, und schon geht es los.«.
»Dann sollten Sie möglichst schnell ihr Gesicht kalt abwaschen und sich in der Insel-Apotheke Allergietabletten besorgen. Ich wünsche Ihnen auf alle Fälle gute Besserung! Wir sehen uns ja sicherlich im Büchernest. Bis später.«
Mit diesen Worten trabte Rieke davon, und ich schaute ihr sehnsuchtsvoll hinterher. Traurig erinnerte ich mich an die erste, heiß ersehnte Reitstunde mit elf Jahren, die mit einem Asthmaanfall und der Diagnose Tierhaarallergie endete und einem Kindertraum ein jähes Ende setzte.
Man kann im Leben nicht alles haben, dachte ich seufzend und kehrte um.
Punkt zehn Uhr klopfte ich an Doros Zimmertür. Wir wollten zusammen in ihrer Pension frühstücken.
Es dauerte eine Weile, bis sie öffnete.
»Wie siehst du denn aus?«, fragte ich. Doros rotbraun getöntes Haar stand wirr nach allen Seiten ab. Offensichtlich hatte sie es auch nicht mehr geschafft, sich abzuschminken. Sie trug einen karierten Flanellpyjama und rosa Frotteepantoffeln, wegen der Helen sie mit schönster Regelmäßigkeit aufzog. Ohne zu antworten, winkte Doro mich ins Zimmer, öffnete das Fenster und schlurfte ins Bad. Dann hörte ich das Wasser laufen und Doro summen.
»Tut mir leid, dass du so lange warten musstest«, sagte sie, als sie zehn Minuten später angezogen und einigermaßen wiederhergestellt aus dem Badezimmer kam. »Sag mal, hast du auch so einen Hunger? Diese Sylter Luft macht mich fertig! Ich könnte andauernd essen und schlafen.«
Ich schmunzelte, weil ich das gut kannte.
Deshalb stürzten wir uns im Speisezimmer mit großem Appetit auf knackfrische Brötchen, ein weichgekochtes Ei und Obstsalat, als hätten wir seit Tagen auf Nulldiät gelebt.
»Nun mach es doch nicht so spannend! Was ist gestern Abend passiert?«, drängelte ich, als Doro sich die dritte Tasse Kaffee in Folge einschenkte, ohne ein einziges Wort über ihre Verabredung mit Mats zu verlieren. Bislang hatte sie lediglich aufmerksam zugehört, als ich über die Lesung berichtete, und dabei zwei Croissants vertilgt.
Hatte es denn in der Sansibar nichts zu essen gegeben?
»Es war ein Traum, und ich glaube, ich bin verliebt«, antwortete Doro in einem so trockenen Tonfall, als hätte sie gesagt, sie müsse nachher noch ihre Steuererklärung machen.
»Du bist verliebt in die Sansibar und das leckere Essen?«, hakte ich ungläubig nach.
»Nein, in Mats. Glaube ich zumindest.«
»Nach einem einzigen Abendessen?«
»Du hast mir auch von Vincent vorgeschwärmt, kaum dass er fünf Minuten bei dir in der Galerie war.«
»Geschwärmt schon, das stimmt. Aber bis ich wusste, dass ich mich in ihn verliebt hatte, war es ein langer Weg.« Doro grinste über beide Ohren, und ich hatte kurz den Verdacht, dass sie mich auf den Arm nahm.
»Nun lass dir doch nicht jedes einzelne Wort aus der Nase ziehen. Wie war es? Und wie … wie geht es jetzt weiter? Fährst du heute zurück nach Hamburg?«
Allmählich wurde ich wirklich ungeduldig!
Doro tippte auf das Handy, das neben ihr auf der Sitzbank lag.
»Sobald Schwiegermonster ihr Okay gibt, verlängere ich den Aufenthalt hier. Thomas hat doch angeboten, dass ich bis zum Wochenende bleiben soll, und Mats fährt erst am Samstag nach Husum zurück. Warum also nicht die Zeit nutzen?«
Weil du – wie ich auch – verheiratet bist?!
»Jetzt im Ernst, Doro. Veräppelst du mich, oder hat es dich wirklich erwischt?«
»Sagen wir es mal so: Es hat unendlich gutgetan, mal wieder ein bisschen verwöhnt und umgarnt zu werden. Keine Ahnung, wann mir ein Mann zum letzten Mal den Stuhl zurechtgerückt oder in den Mantel geholfen hat. Ich weiß, dass man so etwas heutzutage nicht laut sagen darf, aber ich mag es, ladylike behandelt zu werden. Diese Art von Höflichkeit zu genießen hat doch nichts damit zu tun, dass man sofort seine Emanzipation und das Gehirn an der Garderobe abgibt.« Ich musste lachen, weil ich genau wusste, was Doro meinte.
»Vielleicht hat auch die tolle Atmosphäre in der Sansibar eine klitzekleine Rolle gespielt und das sensationelle Essen. Aber da nutzt das schönste Ambiente nichts, wenn dein Gesprächspartner ein Langweiler oder ein eitler Selbstdarsteller ist. Eine Spezies, die in diesem Restaurant übrigens
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