Inselsommer
gab Patrick lediglich einen Kuss auf die Wange, was er mit einem verwunderten Blick quittierte. Dann nahm er meinen Koffer. »Ich hab links vom Bahnhof geparkt und bete inständig, dass ich noch nicht abgeschleppt wurde.«
Wortlos folgte ich ihm und war erstaunt über den Lärm, obwohl Altona nichts war im Vergleich zum Hauptbahnhof. Wie in Trance beobachtete ich, wie Patrick mit der Fernbedienung die Türen öffnete und mein Gepäck im Kofferraum unseres Mercedes verstaute. Ich schlüpfte auf den Beifahrersitz und fühlte mich in dieser Umgebung vollkommen fremd.
»Wollen wir essen gehen, oder möchtest du lieber gleich nach Hause? Unsere liebe
Perle
Ildikó hat köstliche Delikatessen für uns eingekauft. Ich schätze, wir könnten eine Woche davon leben, ohne einen Schritt vor die Tür machen zu müssen.« Mit einem Mal erschien mir die Vorstellung erdrückend, allein mit Patrick in die Wohnung zurückzukehren.
»Ich hätte Appetit auf die leckeren Tapas im Madrigal«, antwortete ich, um die Heimfahrt noch ein wenig hinauszuzögern. Patrick lächelte und gab mir einen Kuss auf die Nase.
»Versteh schon. Nach all den nordischen Spezialitäten gelüstet es dich nach mediterraner Küche. Hoffentlich finden wir in der Nähe der Zeisehallen einen Parkplatz.«
Alles klappte wie am Schnürchen, in einem turbulenten Stadtteil wie Ottensen durchaus keine Selbstverständlichkeit!
Wir gingen über das ehemalige Fabrikgelände einer Schiffsschraubenfabrik zu der Tapas-Bar, die direkt über dem Zeise-Kino lag, einem meiner Lieblingskinos in Hamburg. Das Restaurant wirkte durch seine roten Backsteinmauern dunkel und gemütlich, und dieser Eindruck wurde verstärkt durch die orientalischen Lampen und Bilder.
Nachdem wir bestellt hatten, nahm Patrick meine Hände und schaute mich ernst an.
»Du bist so still, mein Liebling. Ist alles in Ordnung mit dir? Oder vermisst du Bea, Larissa und Sylt?«
»Irgendwie schon«, murmelte ich und kam mir ein wenig lächerlich vor. Noch vor wenigen Wochen hatte ich die beiden kaum gekannt, hatte noch nie einen Fuß auf diese Insel gesetzt, und jetzt fehlte mir Sylt, als sei es mein eigentliches Zuhause.
»Wir können doch den Sommer dort verbringen«, schlug Patrick vor. »Wir müssen nicht in den Süden. Hast du Fotos gemacht?«
War Patrick so naiv, oder hatte er mit einem Mal kein Gespür mehr? Wie konnte er nur ernsthaft akzeptieren, dass die Sehnsucht nach zwei Frauen und einer Insel stärker war als die Freude über unser Wiedersehen? Merkte er denn nicht, wie distanziert ich mich verhielt? Dass ich jede Berührung vermied? Nachdenklich und etwas verschämt nippte ich an einem Glas Rioja und versuchte, mir Patrick auf Sylt vorzustellen. Natürlich würden wir ein schickes Häuschen mieten, vielleicht sogar in Strandnähe.
Wir gingen sicher – wie Mats und Doro – in die Sansibar und bekamen durch Patricks zahlreiche Agenturkontakte dort sogar einen Tisch der
Spätschicht,
also ab zwanzig Uhr, der absolute Jackpot während der Saison.
»Wenn du keine Lust hast, mit mir allein zu verreisen, können wir auch Doro und Thomas fragen, ob sie und die Kinder mitkommen wollen. Thomas könnte den ganzen Tag nach Herzenslust golfen, ich am Meer entlangjoggen oder Tennis spielen und du, Doro und die Kids geht an den Strand. Abends könnten wir gemeinsam kochen und …«
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, unterbrach ich Patrick. »Doro und Thomas haben offenbar gerade eine Krise, und da möchte ich lieber nicht dazwischengeraten. Lass uns lieber wie geplant in die Toskana fahren, da freust du dich doch drauf. Nach Sylt kann ich jederzeit. Bei Bea bin ich immer herzlich willkommen.«
»Seit wann haben Doro und Thomas denn eine Krise?«, fragte Patrick erstaunt. »War sie deshalb auf Sylt?«
Mist! Warum hatte ich nur davon angefangen?
»Ich glaube nicht, dass es etwas Ernstes ist, Doro war nur total genervt vom ewigen Familientrubel und wollte etwas für sich tun, bevor ihr daheim endgültig die Decke auf den Kopf fällt. Sie war auf Sylt beim Friseur, einkaufen, spazieren … dafür hat sie sonst viel zu wenig Zeit. Aber jetzt genug davon. Wie war es denn in New York?« Während Patrick von der Konferenz und den Agenturpartnern in den USA erzählte, schweiften meine Gedanken nach Sylt ab.
Bea machte bestimmt gerade das Abendessen, nachdem sie im Büchernest nach dem Rechten gesehen und noch mit Larissa geplaudert hatte. Vielleicht färbte sich der Himmel über der
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