Inselsommer
einem zustimmenden Nicken. Auch diesmal vermied er es, mir in die Augen zu schauen. Diese Missachtung verletzte mich tausendmal mehr als jeder Tobsuchtsanfall oder lautstarke Streit. Als ich die Wohnungstür schloss, wurde mir auf brutale Weise klar, dass ich mit einem Schlag mein ganzes Leben hinter mir ließ.
Während ich auf der Straße auf das Taxi wartete, das mich zum Bahnhof Altona bringen sollte, warf ich einen letzten, tränenverschleierten Blick auf das oberste Stockwerk.
Doch ich sah niemanden.
Patrick würde dort oben nicht mehr länger auf mich warten.
Das hatte er mir unmissverständlich klargemacht.
22 . Kapitel
I ch freu mich so, dass du wieder da bist!«, sagte Bea und nahm mich in den Arm.
Diesmal war ich nur bis Keitum gefahren.
Diesmal war es Zeit, ehrlich zu sein und keine seltsamen Umwege zu nehmen, um vor irgendetwas davonzulaufen.
»Ich bin dir unendlich dankbar, das glaubst du gar nicht«, antwortete ich und konnte nur mit Mühe verhindern, wieder zu weinen. Es war so tröstlich, die alte Dame zu sehen. Sie war stark und strahlte so viel Zuversicht aus. Etwas Besseres als sie hätte mir in meiner momentanen Situation nicht passieren können.
»Schon gut, Paula. Wir brauchen alle mal Hilfe«, winkte sie ab, und damit war die Sache erledigt.
Als ich wieder in dem Zimmer stand, das ich erst vor drei Tagen verlassen hatte, fühlte ich mich wie in einem Traum.
Bea hatte das Bett neu bezogen und mir einen Strauß Pfingstrosen auf den Nachttisch gestellt, meine absoluten Lieblingsblumen.
»Als du Mittwoch abgereist bist, waren ihre Blüten noch geschlossen. Doch jetzt scheinen sie dich begrüßen zu wollen.« Bea schloss das Fenster. »Wenn du nachher in den Garten gehst, wirst du sehen, was das gute Wetter der letzten Tage alles hervorgezaubert hat. Bei euch in Hamburg war es ja schauderhaft, wie ich in den Nachrichten gesehen hab, aber hier ist es für Mitte Mai fast schon sommerlich.
Wie sieht es mit deinem Appetit aus? Hast du Hunger?«
»Komischerweise ja«, antwortete ich. »In Hamburg dachte ich noch, dass ich nie wieder einen Bissen hinunterbekomme, und kaum bin ich über den Hindenburgdamm rüber, knurrt auch schon mein Magen.«
»Das klingt doch gut«, schmunzelte Bea. »Dann treffen wir uns doch in einer halben Stunde unten zum Abendessen. Sollte dir übrigens der Platz im Schrank nicht reichen, kannst du auch gern die Kommode in meinem Yogaraum nebenan mitbenutzen. Diesmal scheinst du ja länger zu bleiben.«
Nachdem ich ausgepackt und im Bad die Reste meiner vom Weinen verschmierten Wimperntusche mit Reinigungslotion entfernt hatte, ging ich nach unten zu Bea in die Küche.
Dort duftete es bereits so verführerisch, dass mir augenblicklich das Wasser im Mund zusammenlief.
»Mhm, was gibt denn das?«, fragte ich. Es lag ein Hauch von Knoblauch, Rosmarin und Thymian in der Luft – nicht besonders
nordisch.
»Das ist mein legendäres provenzalisches Gemüse, das ich schon seit Ewigkeiten nicht mehr gemacht habe. Nachdem Adalbert es neulich aber energisch eingefordert hat, kam ich auf die Idee, es für uns beide zu kochen. Mal sehen, ob ich es noch kann.«
»Dann bin ich also eine Art Versuchskaninchen.« Lächelnd holte ich Teller, Besteck, Servietten und Gläser aus den Schränken. Jeder Handgriff war mir mittlerweile so vertraut, als würde ich schon ewig im Kapitänshaus leben.
Es tat so unendlich gut, wieder auf Sylt zu sein.
»Weiß Larissa eigentlich, dass ich wieder da bin?«, fragte ich, nachdem wir uns an den antiken Esstisch gesetzt hatten, den ich so gern mochte. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass Patrick sich heute Abend wahrscheinlich eine Pizza bestellte und sie allein vor dem Fernsehen aß. Momentan wusste ich nicht, was mehr weh tat: Der Schmerz, den ich ihm oder den ich mir zugefügt hatte.
»Larissa weiß Bescheid, und ich soll dir ausrichten, dass du bei ihr jederzeit willkommen bist, wenn du reden möchtest. Aber jetzt lass uns essen. Ich bin so gespannt, ob du das Gericht magst.«
»Mhm, ist das lecker!«, rief ich nach den ersten Bissen begeistert aus. »Ich mag es nicht nur, ich liebe es! Dieser Kartoffelgratin dazu ist ein Gedicht. Das kannst du Adalbert auf jeden Fall vorsetzen. Allerdings hat die Sache einen Haken …« Bea hörte prompt auf zu essen und schaute mich verwundert an. Sieh einer an, dachte ich erstaunt. Bea war nicht so tough, wie sie immer tat.
»Adalbert wird sich unsterblich in dich verlieben, falls er es nicht
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