Inselsommer
Allerdings habe ich dich weder betrogen, noch habe ich es vor. Das mit Vincent ist vorbei, ehe es überhaupt begonnen hat. Im Grunde genommen geht es gar nicht um ihn, sondern um mich – um uns. Ich habe mir so sehr eine Familie gewünscht.« Zuzusehen, wie jegliche Farbe aus Patricks Gesicht wich, traf mich zutiefst. Jetzt konnte ich das Rad nicht mehr zurückdrehen und die unausweichliche Veränderung aufhalten.
»Wann ziehst du aus?«
Patricks Frage traf mich wie ein Faustschlag.
Natürlich war mir klar gewesen, dass das Gespräch nicht einfach werden würde, doch so einen harten Schnitt hatte ich nicht erwartet.
Plötzlich klingelte das Telefon, und ich war erstaunt, dass Patrick sich meldete, als sei nichts geschehen. Er drückte mir den Hörer in die Hand, ohne mich anzusehen.
»Es ist Bea Hansen. Frag sie doch gleich, ob du heute noch nach Sylt kommen kannst.« Mit zitternden Händen und klopfendem Herzen nahm ich das Telefon, ging ins Schlafzimmer und schloss die Tür hinter mir. Hoffentlich hatte Bea nicht mitbekommen, was Patrick gesagt hatte! Doch ich hörte sie bereits ohne weitere Einleitung sagen:
»Mein Angebot gilt. Wenn du in Schwierigkeiten steckst, dann pack deine Sachen und komm hierher. Dein Zimmer steht für dich bereit. An sich hatte ich angerufen, um zu hören, ob du dich wieder gut in Hamburg eingelebt hast, das klingt aber nicht so.«
Meine Gedanken überschlugen sich.
Da Patrick meine Anwesenheit offenbar nicht länger ertragen konnte, hatte ich die Wahl, ins Hotel oder zu Helen zu ziehen. Bei Doro ging es zu chaotisch zu, außerdem hatte sie gerade eigene Eheprobleme.
»Das ist lieb von dir, Bea, und ich würde dein Angebot gern annehmen. Zuvor müsste ich allerdings noch telefonieren und meine Sachen packen«, stammelte ich.
»Mach das, und ruf nachher durch, mit welcher Bahn du kommst. Ich hole dich ab.«
Unglaublich, wie pragmatisch Bea war. Jemand brauchte Hilfe – und er bekam sie, ohne dass sie Fragen oder Bedingungen stellte.
Nachdem ich das Telefonat beendet hatte, saß ich wie erschlagen auf dem Bett. So endete also meine Ehe … eine halbe Stunde Gespräch ohne große Auseinandersetzung, und, peng, das war’s!
Wie in Trance überdachte ich die nächsten Schritte.
Wie gut, dass Ildikó gestern da gewesen war, um zu waschen und zu bügeln. Ich musste nur meine Kleidung und alles, was ich sonst noch brauchte, in einen Koffer stopfen und war startklar. Doro und Helen konnte ich von Sylt aus anrufen.
Ich musste zuvor nur noch ein anderes Problem lösen …
»ArtFuture, Jule Brönner am Apparat«, zwitscherte es mir fröhlich entgegen. Zum Glück war es gerade leer in der Galerie, und ich konnte Jule in Ruhe fragen, ob sie mich in den kommenden ein bis zwei Wochen erneut vertreten würde. Während ich scheinbar normal mit ihr sprach, drehte sich das Zimmer um mich, und das Blut sauste in meinen Ohren. Der Teil meiner Persönlichkeit, der gerade auf geschäftsmäßigen Autopilot geschaltet hatte, betete inständig, dass Vincent so loyal war, zu bleiben und ihr zur Seite zu stehen. Ich erzählte Jule, dass ich kurzfristig wieder nach Sylt müsse, natürlich ohne den wahren Grund zu nennen. Doch sie reagierte zum Glück so professionell, wie ich es von ihr gewohnt war.
»Kein Problem, das schaffen wir auch ohne dich, außerdem bist du ja nicht aus der Welt. Wenn wir Fragen haben, melden wir uns. Wenn du willst, kann ich mir auch schon Gedanken über die Ausstellungen im Herbst machen. Momentan hast du sicher keinen Kopf für so etwas.« Ich verscheuchte den Gedanken, dass Jule offenbar auf eine Gelegenheit wie diese gewartet hatte, und versuchte, mich über ihr Angebot zu freuen und sie zu bestärken.
Nachdem auch das erledigt war, begann ich ebenso mechanisch zu packen. Heute wurden es zwei große Koffer, denn ich hatte keine Ahnung, wie lange ich diesmal auf der Insel bleiben würde. Meine Sylter Muschelsammlung hatte ich bislang noch gar nicht ausgepackt.
Also kann ich die Tupperdose so, wie sie ist, wieder zurückbringen, dachte ich und begann, hysterisch zu kichern.
Momentan hatte ich das surreale Gefühl, die marionettenhafte Akteurin eines besonders schlechten Films zu sein, die sich den Regieanweisungen eines Irren zu fügen hatte …
Mein Abschied von Patrick verlief ähnlich.
Ich versprach ihm, mich von Sylt aus um eine Wohnung zu kümmern und dann den Umzug vorzubreiten, ohne dass er über die Gebühr behelligt wurde. Seine einzige Reaktion bestand in
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