Inselsommer
der Liege lag eine flauschig-weiche Fleecedecke, die Adalbert fürsorglich über mir ausbreitete. Danach rieb er mir die Stirn mit Minzöl ein, eine absolute Wohltat. Ich fühlte mich wie früher als Kind, als meine Mutter mich umsorgte, wenn ich krank war.
Dann schaltete Adalbert eine CD ein, deren sphärische Klänge mich sofort einhüllten wie ein warmer Mantel: Meeresrauschen, Vogelgesang, Harfe, Panflöte … Von weit, weit her hörte ich Adalbert flüstern.
»Schlaf gut, Paula. Wenn du wieder wach bist, unterhalten wir uns darüber, was du alles für vorbeugende Maßnahmen ergreifen kannst, damit solch eine Situation nicht mehr eintritt. Bis nachher, ich wecke dich rechtzeitig.« Er war noch nicht ganz aus der Tür, da war ich schon eingenickt …
Eine ganze Weile später strichen mir warme Hände sanft über den Kopf, und es duftete nach frisch gekochtem Kaffee.
Ich setzte mich auf, rieb mir die Augen und brauchte einen Moment, um zu realisieren, wo ich war.
»Trinkst du deinen Espresso mit Zucker, oder willst du, dass er gegen Kopfschmerzen hilft?« Adalbert hielt eine halbe Zitrone in der Hand.
»Dann entscheide ich mich lieber für Zucker. Vitamin C war ja vorhin schon im Sanddorntee. Aber was war das denn vorhin für schöne Musik? Sie hat mich vom ersten Klang an beruhigt und in entrückte Sphären entführt. Wenn die jedes Mal so gut funktioniert, würde ich gern ein Exemplar kaufen.« Neugierig nahm ich die CD , die Adalbert mir wortlos reichte. Sie hieß
Inselsommer,
und der Klangkünstler war Hauke Nissen.
»Hauke wohnt auf der Nachbarinsel Föhr. Ich habe seine Musik entdeckt, als ich durch Zufall seinen Laden Art und Weise im Künstlerdorf Oldsum besucht habe. Und mir ging es genauso wie dir: Ich war bereits nach den ersten Klängen verzaubert und habe mir sofort mehrere seiner CDs gekauft. Seine Klangwelten haben so etwas … Zärtliches, wenn du verstehst, was ich meine. Und sie drücken eine große Liebe zur Natur und zum Meer aus.«
O ja, ich verstand! Diese Musik war wie eine Umarmung, aus der man sich nie wieder lösen wollte.
»Und was schlägst du vor, um keine Nacken- und Kopfschmerzen mehr zu bekommen? Oh, warte, lass mich raten: Yoga und/oder Meditation. Das Dumme ist nur, dass ich neulich große Konzentrationsschwierigkeiten und hinterher Kopfschmerzen hatte.«
Kaum hatte ich den Satz ausgesprochen, bereute ich ihn auch schon. Wie konnte ich nur diesem netten Mann gegenüber derart ironisch sein? Doch Adalbert nahm es zum Glück gelassen.
»Bea hat mir erzählt, dass ihr
Eat, Pray, Love
geschaut habt. Die Heldin hatte ja auch Schwierigkeiten, sich in die Meditation einzufinden. Ich kann dir nur raten, nicht so streng mit dir zu sein.«
»Du kennst den Roman?«, fragte ich halb verwundert, halb belustigt. »Aber das ist doch ein absolutes Frauenbuch.«
»Eben drum«, antwortete Adalbert trocken. »Ich hatte mir erhofft, nach der Lektüre ein wenig mehr über euch zu erfahren. Aber wie es scheint, hat es nicht viel genutzt.«
Schmunzelnd ging ich wenig später zum Büchernest und dachte über Adalberts Worte nach. Ob er mit seiner Bemerkung die Frauen im Allgemeinen gemeint hatte oder eine ganz bestimmte? Die Vorstellung, dass ein so kluger, intuitiver und offenbar weltgewandter Mann wie er Probleme hatte,
das andere Geschlecht
zu verstehen, wollte mir nicht in den Kopf.
»Da bist du ja«, rief Vero, als ich die Küche betrat. Bei ihr saß jeder Handgriff, und man spürte, wie sehr sie hier in ihrem Element war. Würde ihr das alles nicht fehlen? »Du ahnst gar nicht, wie froh ich bin, dass gerade du meine Nachfolgerin wirst. Während ich an Hinrichs Krankenbett saß, habe ich mir den Kopf zermartert, wie es weitergehen soll. Und dann kamst du, mein rettender Engel, und auf einen Schlag waren alle meine Probleme gelöst.« Ehe ich mich versah, drückte Vero mich an ihren mütterlichen, weichen Busen. Sie duftete appetitlich nach einer Mischung aus Honig und Birnen.
»Ich freue mich auch«, murmelte ich und löste mich behutsam aus ihrer innigen Umarmung, »und verspreche, mein Bestes zu geben, um eine würdige Nachfolgerin zu werden. Ersetzen kann dich sowieso niemand, das weißt du. Das Wichtigste ist doch, dass Hinrich so weit alles überstanden hat und nun in guten Händen ist. Aber jetzt sollten wir lieber alles durchsprechen, ehe wir noch ganz gefühlsduselig werden.«
Vero wischte sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und nickte zustimmend.
Zwei Stunden
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