Inselsommer
würde.
Heute Abend hatte ich einen Telefontermin mit Jule. Ich wollte über alle Details mit ihr sprechen, auch über die Stellenausschreibung für die Galerie. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass sie wie erwartet reagierte und sich über die Chance freute, die sich ihr bot.
»So, da bin ich wieder«, schmunzelte Adalbert und stellte eine Kanne, ein Stövchen und zwei dünnwandige Porzellantassen auf den Terrassentisch. Dazu eine Schale Kekse, die ich versuchte zu ignorieren. Momentan hatte ich immer noch ein paar Pfund zu viel auf den Rippen, denn die appetitanregende Luft und die vielen Leckereien in der Küche des Büchernests verführten andauernd zum Naschen.
»Du hast dich also entschlossen, deine Zelte eine Weile auf dieser Insel aufzuschlagen.« Adalbert goss den Tee ein, dessen orangefarbener Ton sich gut in der weißen Tasse machte.
»Mein
Zelt
ist ein toller Pavillon, den Bea mir netterweise zur Verfügung stellt. Dort lässt es sich bestimmt eine Weile aushalten.«
Adalbert nickte.
»Der Winter könnte allerdings zum Problem werden, denn es gibt keine richtige Heizung. Lediglich einen Radiator, der natürlich Unmengen an Strom frisst.« Mist, davon hatte Bea gar nichts gesagt.
»Aber bis dahin ist es noch lang, und wer weiß, wonach dir dann der Sinn steht. Ich bin kein Freund von großen Plänen. Es kommt meist eh anders, als man denkt.«
Ich schluckte.
Vielleicht war ich bis Ende des Jahres schon mitten im Scheidungsprozess und stritt mich mit Patrick wegen der Wohnung. Nach unserem Telefonat hatte ich ein flaues Gefühl im Magen. Sollte ich ihm vielleicht sagen, dass ich keinen Kontakt mit Vincent hatte, um ihn ein wenig zu besänftigen?
Oder änderte das sowieso nichts mehr?
»Na, woran denkst du? Dass du lieber Schwarztee gehabt hättest?« Adalbert lächelte. Oje, ich hatte vor lauter Nachdenken kaum auf mein Getränk geachtet, das, wie ich feststellte, ausgesprochen köstlich und erfrischend schmeckte.
»Ich fürchte, ich bin heute keine allzu angenehme Gesellschaft. Vorhin hatte ich eine Auseinandersetzung mit meinem Mann, und nun schwirrt mir der Kopf. Am besten, ich gehe gleich wieder, sonst verderbe ich dir noch den Tag.«
»Ach, Unsinn«, wischte Adalbert meine Bedenken vom Tisch. »Wir müssen nicht reden, wenn du nicht willst. Genießen wir einfach das traumhafte Wetter und den Blick aufs Meer. Glaub mir: Alles Weitere findet sich schon.«
Froh über diesen Vorschlag, schaute ich aufs Wasser und beobachtete die Seeschwalben, die sich in Schwärmen zusammenfanden, um gemeinsam davonzufliegen. Ich blickte ihnen gedankenverloren hinterher und wurde mit einem Schlag so traurig, dass ich Mühe hatte, meine Tränen zurückzuhalten.
Wie gern wäre ich ein Teil einer solchen Gemeinschaft!
Es wäre eine Wohltat, zu wissen, zu wem man gehörte und wo der eigene Platz im Leben war.
Doch ich hatte meinen Lebensmittelpunkt zerstört.
Und wofür das alles?
Ich spürte, wie sich angesichts dieser negativen Gedanken mein Nacken verspannte und mein Kopf zu schmerzen begann.
»Alles in Ordnung?«, fragte Adalbert und musterte mich besorgt. »Du bist auf einmal so blass. Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, überhaupt nicht. Ich habe nur gerade das Gefühl, dass mir der Schädel platzt, aber das hat mit dir nicht das Geringste zu tun.« Adalbert stand auf, stellte sich hinter meinen Stuhl und massierte mit kräftigem, aber sanftem Druck meinen Nacken. Es dauerte nicht lange, und er hatte genau den Punkt erwischt, wo der Schmerz am tiefsten saß.
»Da hat sich aber einiges angestaut«, murmelte er und knetete weiter. »Möchtest du eine Tablette, oder willst du dich hinlegen? Im Meditationsraum steht eine gemütliche Liege. Ich kann alles abdunkeln, und du schläfst eine Runde, bis es dir bessergeht. Wenn du willst, kann ich dir eine Entspannungs- CD einlegen.« Ich schaute auf die Uhr. Bis zum Treffen mit Vero hatte ich noch ein bisschen Zeit.
Der Gedanke, einfach in einen erholsamen Schlaf zu sinken und all meine Probleme hinter mir zu lassen, war äußerst reizvoll.
»Danke, das Angebot nehme ich sehr gern an. Vorausgesetzt, du hast einen Wecker. Ich bin nämlich um drei mit Vero im Büchernest verabredet.«
»Keine Sorge, du wirst pünktlich sein. Na los, dann komm.«
Ich folgte Adalbert in den Raum, den ich von der Meditationsstunde her kannte. Es duftete angenehm nach Lotusblüte, im gekippten Fenster hing ein silbernes Windspiel, dessen Glöckchen leise klingelten. Auf
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