Inselsommer
attraktive Fahrer.«
»Danke für das nette Kompliment«, entgegnete Olli und schaute uns erwartungsvoll an.
»Möchtest du als Dankeschön, dass du Paula heil hierhergebracht hast, ein Stück Kuchen?«, fragte Vero, was Olli sich nicht zweimal sagen ließ und nun ebenfalls abstieg. Obwohl er sehr penibel auf seine Figur achtete, jeden Morgen joggte und Unmengen von Sit-ups machte, wurde er bei Süßem nahezu jedes Mal schwach.
»Dann kommt mal rein«, sagte Vero lächelnd und deutete auf die Eingangstür, die mit wunderschönen Holzschnitzereien verziert war. »Oder wollt ihr euch vorher noch den Hof anschauen?«
»Gern, wenn das für dich okay ist, Olli«, antwortete ich, fasziniert, wie sehr Beas altes Kapitänshaus sich von der Architektur hier unterschied. Keitum war das Dorf der Seefahrer gewesen, Morsum hingegen, wo noch viel friesisch gesprochen wurde, hatte einen eher bäuerlichen Charakter.
»Aber klar«, freute sich Olli und hängte den Helm an den Lenker der Vespa. »Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie in einem echten Friesenhaus wohnen?« Diese Frage war berechtigt, weil zwischen einem echten
Friesenhaus
und einem Haus im
friesischen Stil
ein großer Unterschied bestand.
»Dies hier ist ein Utlandfriesisches Langhaus, dessen Längsseite und Dachfläche zur Straße hin gebaut sind. Man hat bei der Erbauung darauf geachtet, dass die schmale Seite nach Osten und Westen ausgerichtet war, um sich gegen starke Stürme zu schützen«, erklärte Vero. Beeindruckt betrachtete ich die dicken Hauswände aus gebrannten Ziegeln, die bestimmt gut isolierten und gleichermaßen vor Kälte und Wärme schützten.
»Und was ist das hier?« Ich betrachtete neugierig die Metallkonstruktionen an der Fassade.
»Das sind sogenannte Maueranker«, antwortete Vero. »Sie dienen dazu, einzelne Bauteile miteinander zu verbinden. Diese hier nennen sich Zieranker, auf denen das Baujahr und der Name des Bauherrn steht, wenn ihr mal genau hinschaut. Ach, pardon, lieber Olli, nun habe ich Sie schon zum zweiten Mal geduzt.«
»Schon okay, kein Problem«, erwiderte Olli und gab Vero zu meinem Erstaunen förmlich die Hand. »Gestatten, ich bin der Olli.«
»Und ich die Vero. Und nun haben wir uns nach diesem kleinen Ausflug in die friesische Heimatkunde ein Stück Kuchen wahrlich verdient.«
Ich warf einen letzten Blick auf die Fassade mit den weißen Sprossenfenstern. Direkt unter dem reetgedeckten Dachfirst in der Gaube war eine wunderschöne Glasrosette. Im Inneren des Hauses empfing uns eine heimelige Atmosphäre: An den Fenstern hingen selbstgehäkelte, schneeweiße Spitzengardinen, die erstaunlicherweise überhaupt nicht spießig wirkten.
In der Ecke des Wohnraumes, den man durch eine schmale Diele erreichte, stand ein wunderschöner, antiker Kachelofen.
»Ist bestimmt gemütlich im Winter, auf dem gepolsterten Bänkchen zu sitzen und zu lesen, die Heizung im Rücken wie eine Art Wärmflasche«, sagte ich mehr zu mir selbst als zu Vero.
»Das stimmt. Aber es ist auch ziemlich anstrengend, das Holz hereinzuschleppen, insbesondere wenn man kalte Finger hat. Mal sehen, wie wir es dieses Jahr machen, bislang hat ja immer Hinrich das Hacken übernommen. Und er soll sich jetzt natürlich schonen. Nun ja, vielleicht helfen uns die Kinder, oder wir heizen wie sonst mit Gas.«
Ich musste unwillkürlich an Adalberts Worte denken, dass es in Beas Pavillon keine Heizung, sondern nur einen Radiator gab.
»Dieser Teil des Hauses wird übrigens
Döns
genannt«, sagte Vero. »Früher wurde er über einen
Bilegger
beheizt, einen Ofen, der durch den offenen Herd in der Küche befeuert wurde. Aber diese Tage sind zum Glück vorbei, jetzt haben wir ja den Kachelofen und müssen nicht befürchten, bei unsachgemäßer Bedienung eingeräuchert zu werden.« Mit diesen Worten ging Vero Richtung Küche.
Olli und ich folgten ihr neugierig.
»Habt ihr Lust auf Erdbeerkuchen oder Eierlikörpuffer?«, wollte Vero wissen und holte Sahne aus dem Kühlschrank.
»Ihr könnt aber natürlich auch beides haben.« Schmunzelnd warf sie Olli einen Blick zu, der bereits neugierig die Deckel der Tortenschalen hob und genussvoll schnupperte. Das Aroma von süßen, reifen Erdbeeren stieg mir in die Nase, und ich hatte meine Entscheidung schnell getroffen.
»Wo ist Hinrich?«, fragte ich, weil weit und breit jede Spur von Veros Ehemann fehlte. Ich hatte so gehofft, ihn endlich persönlich kennenzulernen.
»Der ist gerade bei einer Kontrolluntersuchung
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