Inselsommer
sollte.
Verdammt!
»Jetzt genießen wir erst einmal diese wunderbare Vorspeise«, schlug Patrick vor. In seiner Stimme lag etwas Flehentliches. Obwohl ich beinahe körperlich spürte, wie unangenehm die Situation für Patrick war, wurde ich plötzlich wütend. Wieso musste er mir diese Geschichte eigentlich ausgerechnet bei einem schönen Abendessen erzählen? Dachte er, es würde dann weniger weh tun? Wie ein Kind, dem man einen Keks gab, damit es nicht mehr weinte?
Ich musste unwillkürlich an einen Artikel denken, den ich neulich in einem Magazin gelesen hatte. Darin stand, dass die meisten Männer sich vor Krisengesprächen fürchteten und sie deshalb bevorzugt an Orten führten, an denen sie sich vor heftigen Reaktionen sicher fühlten. Allerdings vergaßen sie dabei, dass Frauen sich in der Regel nicht darum scherten, wo sie gerade waren. Sie hatten meist keine Scheu, zu weinen, zu schreien – oder auch einmal dem Kerl, der sie verletzt hatte, ein Glas Wein übers Hemd zu schütten.
Natürlich würde
ich
nichts dergleichen tun!
Immerhin war ich diejenige, die sich getrennt hatte, also musste ich auch die Konsequenzen tragen.
»Schmeckt es dir?«, wollte Patrick wissen, und ich nickte.
Wäre ich in besserer Stimmung gewesen, hätte ich dem außergewöhnlich köstlichen Dressing bestimmt mehr Beachtung geschenkt.
»Und wie läuft es in der Galerie? Wie macht sich die neue Mitarbeiterin?«, fuhr er in belanglosem Smalltalk fort. Genervt legte ich die Gabel beiseite.
»Sei mir nicht böse, Patrick, aber ich habe momentan überhaupt keine Lust, über die Galerie oder etwas anderes zu reden. Wir haben uns jetzt so lange nicht gesehen, und du erzählst mir von einer Frau mit Kind, deren Namen ich heute zum ersten Mal höre, was ich erst mal verdauen muss. Lass uns lieber offen sein, anstatt Belanglosigkeiten auszutauschen, sonst können wir uns dieses Treffen auch sparen.«
Patrick sah nun aus, als hätte ich ihm wirklich ein Glas Wasser ins Gesicht geschüttet, nickte aber zustimmend.
»Also, worum geht es dir wirklich? Willst du mich fragen, ob wir uns scheiden lassen, damit du Simona heiraten kannst? Ist das der Grund, weshalb du extra hierhergekommen bist?«
Patrick riss entsetzt die Augen auf.
»Aber wie kommst du denn auf diese absurde Idee? Ich bin nach Sylt gefahren, weil ich dich sehen wollte. Diese kurzen Telefonate und Mails bringen auf die Dauer nichts, außer vielleicht Missverständnisse. Im Übrigen bin ich gar nicht mit Simona zusammen, falls du das gedacht hast. Es ist nur so … dass …« Plötzlich bemerkte ich im Licht des Kerzenscheins einen feinen Schweißfilm auf seiner Stirn, obwohl es sich mittlerweile deutlich abgekühlt hatte.
Immerhin war es schon kurz vor Mitternacht.
»Also gut, ich muss dir jetzt etwas sagen, was mir sehr, sehr schwerfällt. Es tut mir so leid, Paula, aber Benjamin ist mein Sohn.«
44 . Kapitel
B enjamin ist mein Sohn. Benjamin ist mein Sohn.
Diese vier Worte hämmerten unablässig in meinem Kopf und ließen keinen anderen Gedanken mehr zu.
Nachdem Patrick mir diese unfassbare Neuigkeit mitgeteilt hatte, war ich aufgesprungen und in das gegenüberliegende Hotel gerannt, vor dem zum Glück ein Taxi wartete. Ich hätte Patricks Anwesenheit nicht eine Sekunde länger ertragen.
Nach der schier endlos dauernden Fahrt von Hörnum nach Keitum war ich tränenüberströmt ins Bett gefallen und hatte unaufhörlich geweint, bis mir jede Faser meines Körpers weh tat und ich das Gefühl hatte, keinerlei Flüssigkeit mehr in mir zu haben.
Das Handy klingelte die ganze Nacht, Patrick rief im Abstand von fünfzehn Minuten an. Doch ich ging nicht ran.
Was auch immer er mir zu sagen hatte, es war mir egal.
Irgendwann im Morgengrauen brachte ich die Energie auf, es auszuschalten und wirklich ins Bett zu gehen. Bis dahin hatte ich auf der Tagesdecke gelegen und meinen Kopf unter dem Kissen vergraben.
Später am Sonntagvormittag – ich hatte keine Ahnung, wie spät es genau war – holte mich Beas Stimme aus meinen wirren Träumen, in denen ich zusammen mit einem Jungen und einem Hund am Abgrund eines Vulkans herumtanzte. Der Hund bellte und wedelte freudig mit dem Schwanz, während ich den Jungen an der Hand hielt.
»Paula? Ist alles in Ordnung?«, hörte ich Bea besorgt rufen. Halb benommen öffnete ich die Tür, um mich gleich wieder ins Bett zu flüchten. »Um Himmels willen. Was ist passiert? Bist du krank?« Bea war ehrlich entsetzt.
»Mein Mann hat mir
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