Inselsommer
gestern Abend eröffnet, dass er einen Sohn hat«, stammelte ich und unternahm erst gar nicht den Versuch einer weiteren Erklärung.
Doch auf Bea war in Momenten wie diesem Verlass!
»Ich koche Tee und bin gleich wieder da. Bis dahin lassen wir mal frische Luft herein, nicht wahr? Es ist so ein schöner Tag.« Mit diesen Worten zog Bea behutsam die Vorhänge auf (wann hatte ich sie eigentlich geschlossen?) und ging wieder hinaus.
Immer noch benebelt, setzte ich mich auf, stopfte mir das Kissen in den Rücken und starrte vor mich hin.
Ich fühlte mich, als sei ich von einem Panzer überrollt worden. Als sei etwas unwiederbringlich in mir kaputtgegangen.
»So, da bin ich wieder.« Lächelnd stellte Bea ein Tablett auf das Tischchen neben meinem Bett. Dann füllte sie den Tee in einen Becher. »Trink, das wird dir guttun. Und wenn es dir ein bisschen bessergeht, hast du ja vielleicht sogar Appetit auf das Croissant, das ich heute Morgen extra für dich gekauft habe.«
Ich setzte den Becher an meine ausgetrockneten, rissigen Lippen und pustete. Dann spürte ich ein fremdes, bitteres Aroma auf meiner Zunge.
»Was ist das denn?«, fragte ich irritiert und musste mich zwingen, das Gebräu zu trinken, das erschreckend medizinisch schmeckte.
»Meine persönliche Hausmischung für Situationen, in denen ich Nervennahrung brauche. Melisse, Baldrian, ein paar Lindenblüten … und eine geheime Zauberzutat.«
Bei den letzten Worten zwinkerte Bea. »Aber nicht dass du denkst, ich bin eine Hexe.«
»Und wenn, dann eine sehr nette«, antwortete ich matt.
»Danke für das Kompliment. Wenn du willst, rufe ich Larissa an. Sie kommt bestimmt gern vorbei, wenn du reden möchtest.«
Ich überlegte. Es war sicherlich besser, jetzt nicht allein zu sein.
Aber ob ausgerechnet Larissa die richtige Gesprächspartnerin war? Immerhin hatte sie mit ähnlichen Schwierigkeiten zu kämpfen wie ich. Andererseits würde sie gerade deshalb verstehen, was in mir vorging. Also nickte ich und reichte Bea das Festnetztelefon, das auf meinem Nachttisch stand. Keine Minute später stand fest, dass Larissa sich auf den Weg machen wollte, um mich ein wenig zu trösten.
Ich dachte an Doro und Helen.
Wie reagierten sie wohl auf diese unglaubliche Neuigkeit?
Einen Augenblick bereute ich es, dass ich nicht in Hamburg war. Doch dieses leise Bedauern währte nur kurz. Sobald ich in Larissas Augen schaute und Bea liebevoll meine Hand ergriff, wusste ich, dass ich zwei Freundinnen fürs Leben gewonnen hatte und ich nicht allein war.
Nachdem ich Larissa geschildert hatte, was passiert war, nahm sie mich in den Arm und hielt mich eine ganze Weile gedrückt. Als sie mich losließ, zog sie die Nase kraus, wie immer, wenn sie über etwas nachdachte.
»Ich verstehe nicht, wie diese Simona von deinem Mann schwanger werden konnte, wenn er doch angeblich … äh … zeugungsunfähig ist …«
Bea schaute uns erstaunt an, sagte jedoch nichts.
»Patrick ist, ungefähr drei Jahre nachdem wir geheiratet haben, an Mumps erkrankt und dadurch unfruchtbar geworden«, erwiderte ich und spürte wieder, wie heiße Wut in mir aufstieg.
Wieso hatte diese Frau das Glück gehabt, meinen Mann kennenzulernen, als er noch in der Lage gewesen war, Kinder zu zeugen?
Warum hatte ich nicht gleich nach der Hochzeit versucht, schwanger zu werden?
»Und weshalb erfährst du jetzt erst von Benjamins Existenz?«, wollte Bea wissen. Larissa nickte zustimmend.
»Weil auch Patrick es erst vor kurzem erfahren hat. Simona hat wohl in dem Augenblick festgestellt, dass sie schwanger war, als Patrick sich von ihr getrennt hatte. Da sie nicht wollte, dass er nur wegen des Kindes bei ihr blieb, zog sie zu ihren Eltern nach Stade und hat ihren Sohn allein großgezogen. Erst als Benjamin in der Pubertät immer wieder Fragen nach seinem Vater gestellt hat, hat sie Patrick informiert. Sie schrieb ihm einen Brief … und na ja … Patrick und Benjamin verstehen sich wohl super. Ich habe die drei zusammen an der Elbe gesehen. Sie wirkten wie eine glückliche Familie …«
Man hätte im Pavillon eine Stecknadel fallen hören können, so leise war es mit einem Mal. Bea und Larissa wechselten einen betretenen Blick.
45 . Kapitel
L iest die nicht toll? Das ist unglaublich spannend!«, wisperte die kleine Paula und drückte aufgeregt meine Hand. Wir saßen am Samstagnachmittag zusammen mit etwa vierzig Kindern und Jugendlichen im Schneidersitz vor der Bühne des Büchernests und lauschten den Worten
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