Inselzauber
vollkommen egal sein, mit wem und wann ich ausgehe.
»Aha«, kommentiert er meine Antwort lapidar und streut Zucker in seinen Kaffee. »Tut mir leid, dass ich gefragt habe. Eigentlich geht es mich nichts an. Das ist es doch, was du denkst und was ich gerade in deinen Augen lese, oder?«
»Stimmt genau«, entgegne ich und muss lächeln. »Es geht dich nichts an. Solche Informationen bekommst du in Zukunft nur im Tausch gegen eigene persönliche. Wir können uns ja an dieser Stelle versprechen, uns gegenseitig Bescheid zu geben, wenn es jemanden in unserem Leben gibt, der uns wichtig ist. Okay? Bis dahin bleiben wir das, was wir sind: gute Freunde.«
»Auf die Freundschaft«, antwortet Leon und erhebt feierlich seinen Cappuccino. »Es ist zwar ungewöhnlich, mit Kaffee anzustoßen, aber warum sollte man es nicht auch mal damit versuchen? Auf uns und darauf, dass wir uns immer so gut verstehen, wie wir es bisher getan haben!«
»Auf uns!«, entgegne ich und stoße mit meinem Glas an seine Tasse.
Am Abend hole ich meinen Laptop hervor, den ich wohlweislich von zu Hause mitgebracht habe, und bringe meinen Lebenslauf auf den aktuellen Stand. Nach alldem, was Marco über Mailand und das Hotel D’Angelo erzählt hat, in dem die Stelle der Pressereferentin frei ist, möchte ich nun keine Minute zögern und meine Bewerbung zusammenstellen. Wirklich zu blöd, dass das Kapitänshaus nicht über einen Internetanschluss verfügt und ich meine Unterlagen nicht per E-Mail losschicken kann, wie das heutzutage üblich ist. Ich hoffe, dass die Post von Sylt nach Italien nicht so lange braucht und die Stelle anderweitig vergeben wird, weil ich zu spät dran bin.
Während ich die Bewerbung so formuliere, dass es so wirkt, als hätte die Pressearbeit einen großen Teil meiner Zeit im Hotel in Anspruch genommen, sinniere ich darüber, wie es wohl wäre, wirklich in Italien zu leben. Ein Teil von mir sehnt sich danach, noch einmal neu anzufangen, andere Eindrücke aufzunehmen, ein fremdes Land kennenzulernen, eine neue Sprache zu sprechen und mit Menschen zu kommunizieren, die eine andere Mentalität haben. Den Duft von Oleander einzuatmen, die Sonne auf der Haut zu spüren, auf einer Piazza Eis zu essen oder den Mailänder Dom zu besuchen. Der andere Teil ist immer noch ein wenig ängstlich, fühlt sich verloren und heimatlos.
Jetzt, wo Nele so viel mit Bea zusammengluckt, hat sich auch unsere Freundschaft verändert. Unsere Treffen werden seltener und finden eher en passant im Café oder in der Buchhandlung statt. Richtig verabredet haben wir uns eigentlich schon lange nicht mehr, denke ich und überlege, ob es wirklich nur daran liegt, dass Nele derzeit um ihre Existenz kämpft. Die Dinge ändern sich eben, seufze ich, während ich den Computer herunterfahre und meine Bewerbung speichere.
Momentan bin ich noch nicht einmal mehr motiviert, Nele danach zu fragen, ob sie ihren Kinderbuchauftrag erfüllt. Meine Freundin geht jetzt ihren eigenen Weg und weiß immer besser, was sie tut – also wird sie sich auch für das Richtige entscheiden, was ihr Buchprojekt betrifft. Ich muss loslassen, ermahne ich mich, während ich gleichzeitig feststelle, dass mir für meine Bewerbung etwas Existenzielles fehlt, nämlich ein Drucker!
Ich überlege kurz, wer mir bei diesem Problem helfen könnte, und beschließe, Leon zu fragen. Nele hat keinen Computer, und auch in der Bücherkoje hat sich noch nichts verändert, auch wenn zwei Computer und ein Internetanschluss sowie die Erstellung einer Homepage im Businessplan vorgesehen sind. An dieser Stelle hat Ralf Überzeugungsarbeit in meinem Sinne geleistet und Bea nachhaltig klargemacht, dass in der heutigen Zeit eine eigene Website aus Werbe- und Informationsgründen nahezu unumgänglich ist.
Ich überlege kurz, ob ich Leon heute noch anrufen soll, entscheide mich aber dagegen. In meine Gedanken platzt eine SMS von Marco, in der er fragt, wie es mir gehe und wann wir uns wiedersehen. Ich beschließe, vorerst nicht zu antworten, weil ich mir über mein Verhältnis zu diesem Mann immer noch nicht klar bin.
»Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht, welche wollt ihr zuerst hören?«, fragt Bea zwei Wochen später, als wir uns zu einem konspirativen Essen bei Fisch-Fiete treffen.
Heute Abend haben weder meine Tante noch Nele Lust zu kochen, und so haben wir beschlossen, uns etwas zu gönnen und bei dieser Gelegenheit auch gleich noch Vero mitzunehmen, denn meine Tante und sie haben sich
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