Inselzauber
Werkstatt entrümpeln und die Wohnung meiner Freundin streichen.
Ich warte jede Minute auf eine Nachricht von Christian Weber und bete inständig darum, dass Stefan nicht ausgerechnet jetzt in einen dreiwöchigen Urlaub entschwindet, auch wenn das mit einem Säugling eher unwahrscheinlich ist. Ich werde von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde nervöser, und auch bei Nele ist die Stimmung allmählich auf dem Nullpunkt. Sie ist gestresst davon, neben ihrer Tätigkeit im Möwennest abends zu renovieren, ihre Sachen zu packen, sich umzumelden, die Details mit ihrem Vermieter zu regeln.
Die einzig positiven Nachrichten sind, dass sie eine Woche länger in der Wohnung bleiben darf und ihre Illustrationen im Verlag mit großer Begeisterung aufgenommen wurden. Nele wird, so wie es aussieht, sogar einen weiteren Auftrag bekommen.
»Wer weiß, vielleicht habe ich bald alle Zeit der Welt, um Kinderbücher zu illustrieren«, seufzt sie, als ich sie auf eine kurze Nachmittagspause im Möwennest besuche und wir vor der Tür ein wenig frische Luft schnappen.
In diesem Moment hält ein Lieferwagen vor dem Café, und der Fahrer tritt auf uns zu. »Ist eine von Ihnen beiden Nele Sievers?«, erkundigt er sich, und meine Freundin nickt. »Ich habe hier Terrassenmöbel, die ich anliefern soll. Wo soll ich die abladen?«
Nele und ich sehen uns verwundert an, und meine Freundin schüttelt abwehrend den Kopf. »Das muss ein Irrtum sein, ich habe nichts bestellt«, sagt sie.
Der Lieferant studiert sein Formular. »Das stimmt«, sagt er dann und sieht Nele belustigt an. »Bestellt und bezahlt hat das Ganze eine gewisse Bea Hansen, aber als Lieferadresse steht hier eindeutig Café Möwennest im Strömwai. Und das ist auf alle Fälle hier.«
Wir sind beide unfähig, uns zu rühren, zu sehr sind wir von Beas großzügigem Geschenk überrascht.
»Na, dann wollen wir mal«, sagt der Lieferant zu seinem Kollegen, der nun ebenfalls aus dem Wagen steigt und die Laderampe herunterlässt. »Da es den beiden Damen offensichtlich die Sprache verschlagen hat und wir heute auch noch andere Kunden beliefern müssen, würde ich vorschlagen, dass wir die Möbel einfach hier an der Wand stapeln.«
Einige Minuten später fährt der Lieferwagen davon, und Nele und ich stehen inmitten einem Haufen von verpackten Stühlen und Tischen.
»Ich sage Frau Stade wohl besser Bescheid, dass ich dir hier helfen werde«, sage ich, um kurz darauf mit zwei Paketmessern wiederzukommen, mit denen wir sonst Bücherkisten öffnen.
»Ich fasse es nicht, ich fasse es einfach nicht«, murmelt Nele in regelmäßigen Abständen, während wir in Windeseile die Möbel von ihrer Verpackung befreien. »Deine Tante ist immer wieder für eine Überraschung gut.«
Eine Stunde später sieht es vor dem Möwennest aus, als hätte es die Terrassenbestuhlung immer schon gegeben. Die Möbel sind aus dunklem Teakholz und passen damit hervorragend zum Interieur des Möwennests. Nele zaubert schnell ein paar Vasen herbei, und ich flitze zum Blumeneck, um dort Ranunkeln und Tulpen zu holen. Gerade als wir fertig sind, lugt wie auf Kommando die Sonne hervor, die sich in den vergangenen Tagen ein wenig bedeckt gehalten hat. Schon bleiben die ersten Fahrradfahrer und Spaziergänger stehen, um die Speisekarten zu studieren, die Nele aus dem Café geholt hat, ebenso die Tafel mit den Tagesangeboten, die nun an der Außenwand des Möwennests lehnt.
Den Rest des Tages helfe ich meiner Freundin, die mit einem Schlag alle Hände voll zu tun hat und des unerwarteten Andrangs kaum Herr wird.
Am besten gehen natürlich Kuchen und Eis, doch der eine oder andere Kunde bestellt auch Pasta, Salat und Wein, so dass Nele am Abend eine Summe eingenommen hat, die bislang einmalig in der Geschichte des Cafés ist.
»Wie wunderbar«, freut Bea sich, als ich sie am Abend anrufe, um ihr zu sagen, dass ich noch ein wenig bleibe, um mit Nele zu feiern.
Dann übergebe ich den Hörer an meine Freundin, die sich vor Freude und Dankbarkeit beinahe überschlägt. »Wenn Herr Degenhard diese Zahlen sieht, dann MUSS er uns helfen«, sagt sie euphorisch, während ich realistischerweise daran denke, dass es auf Sylt leider nicht nur Sonnentage gibt.
Als Nele mir den Hörer wieder zurückgibt und in die Küche geht, erfahre ich von meiner Tante, dass Christian Weber Stefan endlich erreicht hat.
»Und?«, frage ich beinahe atemlos, denn nach dem heutigen Tag habe ich noch mehr als sonst das Gefühl, dass wir mit dem
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