Inselzauber
Katharina im Scheinwerferlicht des Wagens erkennen kann.
O mein Gott, was habe ich da nur getan?, frage ich mich, als das Taxi vom Parkplatz fährt, und bin entsetzt über meine Reaktion. Was ist da nur plötzlich in mich gefahren?
Eine Viertelstunde später setzt der Fahrer mich zu Hause ab, und ich versuche mich so leise es geht ins Haus zu schleichen, damit Bea mich nicht bemerkt. Doch das Glück ist mir nicht hold, und meine Tante hört sehr wohl, dass ich wesentlich früher als gedacht zurück bin.
»War es denn nicht nett?«, ruft sie mir aus dem Wohnzimmer zu, während im Hintergrund der Fernseher läuft.
Ich habe nicht die geringste Lust, ihr zu antworten oder etwas zu erklären, was ich selbst noch nicht zuordnen kann, stehle mich mit einem kurzen »Bin total müde, alles Weitere morgen früh« die Treppe nach oben und bin froh, dass sie nicht weiter nachfragt, sondern mir ebenfalls eine gute Nacht wünscht.
Als ich eine Weile später im Bett liege und an die Zimmerdecke starre, finde ich mich plötzlich unglaublich kindisch und schäme mich. Was Leon jetzt von mir denken mag? Und Katharina erst? Während meine Gedanken zu den beiden wandern und ich überlege, wie sie wohl den Abend verbringen, steckt auf einmal Timo die Nase zur Tür herein. Offensichtlich habe ich vergessen, sie zu schließen.
»Hallo, Süßer«, locke ich den Hund an mein Bett und versenke mein Gesicht tief in seinem warmen Fell. »Bleib doch noch ein bisschen bei mir, ich kann deine Gesellschaft jetzt gut gebrauchen«, sage ich und kraule ihm den Nacken. »Eigentlich wäre es allmählich an der Zeit, dass MICH jemand streichelt«, murmle ich.
Daraufhin gibt Timo ein unbestimmtes Brummen von sich, das ich als Zustimmung werte. Wenigstens versteht dieser Hund mich, wenn ich es schon selbst nicht tue.
Am nächsten Morgen ist mir der Gedanke, Leon vor die Augen treten zu müssen, noch peinlicher als am Abend zuvor. Ich habe schlecht geschlafen, irgendwelchen Unsinn von ihm und Katharina geträumt und bin heilfroh, dass heute Sonntag ist und ich ihm nicht in der Bücherkoje über den Weg laufen werde.
Bea ist zum Glück so diskret, mich nicht auf den vergangenen Abend anzusprechen, und so beschließe ich, einen langen Strandspaziergang mit Timo zu unternehmen, auch wenn das Wetter heute nicht besonders gut ist. Ich schnappe mir eines von Beas Regencapes und wappne mich damit gegen den feuchten Nieselregen, der wie ein Tuch über Keitum hängt.
Wie schnell sich je nach Wetterlage der optische Eindruck des Dorfes verändert! Wo gestern noch Rosen und Hortensien in leuchtenden Farben geblüht haben, liegt auf einmal ein grauer Schleier auf Straßen, Häusern und Steinwällen. Es sind kaum Menschen draußen, vermutlich legen die meisten Urlauber heute einen Wellness-Tag ein, spielen »Mensch ärgere dich nicht« in ihren Ferienwohnungen oder lesen ein gutes Buch.
Auch Timo scheint der Wetterumschwung aufs Gemüt zu schlagen, und so trotten wir beide lustlos nebeneinander her. Wir biegen Richtung Watt ab, doch auch dort bietet sich uns kein belebenderer Anblick. Hier ist ebenfalls alles verhangen, selbst die Vögel haben sich verkrochen. Die Ebbe hat einige Muscheln und ein paar Strandkrabben zurückgelassen, die wie tot zwischen Seetang und Steinen schlummern.
»Ist das trostlos«, sage ich zu Timo, der noch nicht einmal Lust hat, Stöckchenfangen zu spielen. Aber obwohl ich am liebsten wieder umkehren und mich faul aufs Sofa legen möchte, treibt es mich weiter Richtung Munkmarsch. Vielleicht kann ich mich im Café des Hotels Fährhaus mit einer heißen Schokolade belohnen, Leute beobachten und damit auf andere Gedanken kommen. Ich biege also nach links und folge dem Strand, der an dieser Stelle von hohem Seegras gesäumt wird. Im Hintergrund sehe ich ein kleines Wäldchen und die Holzbrücke, die nach Munkmarsch zum Hafen führt.
Sosehr ich mich auch bemühe, an etwas anderes zu denken – ich bekomme den gestrigen Abend einfach nicht aus dem Kopf. Mir ist absolut schleierhaft, was mit mir los ist. Würde mir eine Freundin so etwas erzählen, würde ich sofort Eifersucht diagnostizieren. Aber in meinem Fall? Weshalb sollte ich eifersüchtig auf Katharina Bausch sein? Ich bin schließlich nicht in Leon verliebt. Worauf sollte da ein Gefühl wie Eifersucht basieren?
»Merkwürdig, merkwürdig«, murmle ich vor mich hin und stapfe weiter, während der Regen allmählich an Intensität zunimmt. Ob ich doch lieber wieder umdrehen soll?
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