Inselzauber
und dich nicht in die Träume anderer flüchtest, nur weil du momentan keine eigenen hast!«
Rumms, das sitzt! Für einen Moment habe ich das Gefühl, als hätte mir jemand eine Ohrfeige verpasst. Vero streichelt mitfühlend meine Hand, während ich mit den Tränen kämpfe.
»Doch«, rebelliere ich und sehe auf einmal alles klar vor mir. »Ich habe einen Traum, den Traum vom Büchernest. Ob ich nun selbst darin arbeite oder nicht. Ich finde die Idee toll und glaube nach wie vor daran. Und nicht nur ich bin überzeugt von dem Konzept, sondern auch die Bank. Betrachte es doch auch mal als finanzielle Investition. Natürlich kann ich das Geld in eine Immobilie in Italien anlegen und selbst darin wohnen oder sie vermieten. Ich kann das Geld auch weiterhin bei Stefan lassen und kräftig Zinsen kassieren. Mir Aktien oder Wertpapiere kaufen. Aber ich kann genauso gut ins Büchernest investieren und einmal im Jahr nach Sylt kommen, um die Erträge zu kassieren, die ihr erwirtschaftet habt. Wie eine Art weiblicher Pate«, erkläre ich und versuche mit meinem letzten Satz die Situation wieder etwas aufzulockern.
»Ich finde, Lissy hat recht«, kommt mir Vero zu Hilfe, die unserer Auseinandersetzung die ganze Zeit stumm und konzentriert gelauscht hat. »Auf diese Weise ist allen geholfen. Dir, Lissy und Nele. Und mir als deiner arg strapazierten Freundin im Übrigen auch, weil ich weiß, dass du mit diesem neuen Projekt aufblühen wirst. Dieses Herumsitzen ist nichts für dich, wie wir alle wissen. Du bist schon viel ausgeglichener geworden, seit du wieder etwas zu tun hast.«
»Danke, Vero«, sage ich und erhebe mein Glas. »Das ist der rechte Moment, um auf das Büchernest anzustoßen. Denn im Grunde steht diesem Projekt nichts mehr im Wege, sobald Stefan den Kredit zurückgezahlt hat. Oder vielmehr sobald ich einen Anwalt gefunden habe, der ihn davon überzeugt, dass er jetzt besser schnellstens seinen Verpflichtungen nachzukommen hat. Wenn ich die ersten Erträge kassiere, nehme ich das Geld, um mir einen weiteren Traum zu ermöglichen, nämlich mit Nele nach Venedig zu reisen.«
»Dann also auf das Büchernest und Venedig«, sagt meine Tante und sieht nun wieder etwas überzeugter aus. »Und darauf, dass wir einander haben!«
Während wir uns erneut zuprosten, klingelt es an der Tür, und Bea erhebt sich, um Nele zu öffnen. Meine Freundin ist völlig verheult und sieht aus, als hätte sie eine sehr schlechte Nachricht erhalten. Dem ist auch so, wie wir eine Minute später erfahren.
»Mein Vermieter wirft mich raus und gibt mir eine Woche Zeit, um aus der Wohnung auszuziehen«, erzählt sie unter Schluchzen, während Vero ihr ein Glas Veltliner einschenkt.
»Wieso das denn?«, frage ich und bin wütend, weil das Unglück meiner Freundin kein Ende nehmen will.
»Weil ich die Miete wieder nicht bezahlt habe«, erklärt Nele und trinkt einen Schluck Weißwein, während ich versuche, diese Information zu verarbeiten.
»Er kann dich doch nicht einfach rauswerfen, selbst wenn du mit der Miete im Rückstand bist«, mischt Vero sich ein. »Man hat doch als Mieter so viele Rechte. Ich weiß das von einer Freundin, die seit einem halben Jahr versucht, einen Mieter aus ihrem Apartment in Westerland zu bekommen, weil er nicht zahlt. Doch sie hat keine Chance, obwohl sie den Fall bereits ihrem Anwalt übergeben hat.«
»Im Prinzip stimmt das«, pflichtet Nele Vero bei, »aber in meinem Fall ist es leider anders. Ich hatte von Anfang an nur einen Zeitmietvertrag, und der läuft Ende des Monats aus. Da kann man absolut nichts machen, der Vermieter ist im Recht.«
Betreten sehen Vero, Bea und ich uns an, und ich bin endgültig ratlos. Sieht ganz so aus, als könne man tatsächlich nichts machen. Doch woher soll Nele so schnell eine Wohnung bekommen? Angesichts ihrer heiklen finanziellen Situation ist das eine schier unmögliche Aufgabe. Abgesehen davon, dass so ein Umzug und die Renovierung der alten und womöglich einer neuen Wohnung viel Geld kosten. Meine Freundin beginnt wieder zu weinen, und es zerreißt mir beinahe das Herz, sie so traurig und mutlos zu sehen. Wenn ich ihr doch nur helfen könnte.
»Wie willst du das Problem lösen?«, fragt Bea pragmatisch, während Nele sich die Nase putzt.
»Das ist ja das Fatale«, antwortet diese und bricht erneut in Tränen aus. »Ich habe keine Ahnung, wohin. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendeinen Vermieter gibt, der mich als Mieterin haben will. Die Leute kennen
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