Inselzauber
Sisalboden, der überall ausliegt, einem Hauch von Kaffee und eben dem Geruch von Büchern, den ich weiter gar nicht spezifizieren kann. Es ist der Duft meiner Kindheit, denn ich habe es immer schon geliebt, mit Bea in der Bücherkoje zu sein.
»Als Erstes musst du immer den Marktwagen und die Zeitungsständer hinausschieben, sonst kommst du gar nicht an die Kasse heran«, erklärt sie.
Ehe ich es mich versehe, wuchte ich auch schon einen nicht ganz leichten Holzkarren nach draußen und plaziere ihn rechts neben der Tür. Daneben gehören zwei Rollständer, die ich wenige Minuten später unter der strengen Anleitung meiner Tante fachgerecht mit den Tageszeitungen und Zeitschriften bestücke, die ordentlich gebündelt und gegen etwaige Nässe in Folie verpackt vor der Tür gelegen haben. Als ich den
Sylter Tagesspiegel
in Händen halte, muss ich unwillkürlich an Leon denken und lächeln. Schön zu wissen, dass ich eine Anlaufstelle für die Zeit habe, in der Bea und Vero weg sind.
Wäre wirklich nett, ihn wiederzusehen, überlege ich, während ich noch immer alte Zeitungen aus dem Ständer nehme und auf dem kalten Boden staple. Anschließend muss ich sie für die Remission in Listen eintragen und verpacken, wie mir Bea erklärt. Zu weiteren Träumereien bleibt ohnehin keine Zeit, denn nun erklärt sie mir den Kopierer, die Kasse und den Briefmarkenverkauf.
»Ich dachte, du betreibst eine Buchhandlung und keinen Gemischtwarenladen«, maule ich ein wenig. Ich habe nämlich nicht die geringste Lust, mich damit zu beschäftigen, wie man einen etwaigen Papierstau entfernt, was man macht, wenn die Kasse klemmt oder jemand nicht weiß, wie ein Brief nach Frankreich ordnungsgemäß frankiert werden muss. Okay, das mit der Kasse kann ich noch akzeptieren, weil es nun mal zum Buchverkauf gehört, aber alle anderen Tätigkeiten erinnern mich fatal an meinen Job im Hotel.
»Na, wie lässt sich der erste Arbeitstag an?«, erklingt auf einmal eine männliche Stimme, und ich drehe mich um. Es ist Leon, einen Berg von Zeitungen und Zeitschriften in der Hand, die er gerade aus dem Ständer genommen haben muss.
»Oh, hallo, lange nicht gesehen«, antworte ich leicht ironisch, weil ich mich wundere, was er hier macht.
»Tja, an meinen Anblick wirst du dich wohl oder übel gewöhnen müssen, denn ich besorge hier jeden Morgen auf dem Weg zum Verlag meinen Pressespiegel«, beantwortet Leon meine unausgesprochene Frage und lächelt mich an.
»Wohnst du denn hier in der Nähe?«, erkundige ich mich, während ich fieberhaft überlege, wie genau die Kasse funktioniert. Der Redakteur des
Sylter Tagesspiegels
scheint mein erster offizieller Kunde zu sein.
»Kann man so sagen«, antwortet Leon und legt den Zeitungsstapel auf den Tresen. »Ich wohne direkt nebenan. Über dem Möwennest.«
»Dem Möwennest?«, frage ich irritiert, während ich mit zitternden Händen die ersten Beträge in die Kasse tippe. Gar nicht so schwer, denke ich aber dann. Beim Anblick der Gesamtsumme, die der Bon am Ende auswirft, runzle ich die Stirn. Zeitungen sind ganz schön teuer!
»Ja, das Café gleich nebenan. Sag bloß, das hast du noch nicht gesehen?«
Verwundert überlege ich, dass es bislang meines Wissens kein Café neben der Buchhandlung gegeben hat. Aber ich war immerhin seit zwei Jahren nicht mehr hier, da kann sich natürlich einiges getan haben.
»Das Möwennest gehört Nele Sievers, einer Bremerin, die seit zwei Jahren auf der Insel lebt. Genauso lange gibt es auch das Möwennest schon. Wenn du Lust hast, können wir da abends mal ein Glas Wein trinken. Nele kocht auch ganz gut …«, fährt Leon fort und lässt seine Worte verlockend in der Luft hängen.
»Gern«, antworte ich. »Wenn ich mich ein wenig akklimatisiert habe, wäre das sicher nett.«
»Also, dann bis morgen, viel Spaß noch«, verabschiedet sich der Journalist. Seine Beute unter den Arm geklemmt, steigt er auf ein Fahrrad, das im Ständer vor der Bücherkoje steht.
Es gibt also auch noch Männer, die kein Auto fahren, denke ich, während ich plötzlich ein Bild von Stefan vor Augen habe, wie er vor seinem BMW steht. Wieder versetzt mir der Gedanke an ihn einen Stich, insbesondere, weil ich bereits Melanie und den Kindersitz auf der Rückbank vor mir sehe.
»Alles in Ordnung mit dir?«, höre ich auf einmal meine Tante fragen, die mir liebevoll durchs Haar streicht. »Das wird schon alles wieder, du wirst sehen«, flüstert sie und lächelt mich an. »Du wirst hier
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