Inselzauber
aufblühen wie eine Keitumer Rose und bald vergessen, dass du jemals um Stefan getrauert hast«, fügt sie hinzu, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»Versprochen?«, frage ich ängstlich, wie ein kleines Kind, und muss mir die Tränen verkneifen, die sich schon wieder in meinen Augenwinkeln sammeln.
» VERSPROCHEN !«, antwortet Bea im Brustton der Überzeugung, und irgendwie glaube ich ihr.
Die Einarbeitungswoche verfliegt im Nu, und bald habe ich mich fast daran gewöhnt, morgens früh aufzustehen, mit Timo meine Runde zu drehen (vielleicht bringe ich ihn doch nicht zu Vero) und den ganzen Tag in der Buchhandlung zu arbeiten. Das viele Stehen ist anfangs mein größtes Problem, dem ich abends mit heißen Lavendelfußbädern zu Leibe zu rücken versuche. Aber Schwächeleien oder Ähnliches kann ich mir nicht leisten, denn so kurz vor Weihnachten ist die Buchhandlung voll.
Bea, Frau Stade, Lisa und ich haben alle Hände voll zu tun, die Kunden zu beraten und die empfohlenen Bücher anschließend als Geschenk zu verpacken. Ich bin froh, dass es neben den beiden älteren Damen auch noch unsere Aushilfe gibt. Lisa ist eine nette, unkomplizierte, 32-jährige Goldschmiedin, die sich mit dem Nebenjob in der Bücherkoje etwas dazuverdient. Sie ist blond, von zierlicher Statur und beeindruckt mich immer wieder mit ihren selbstentworfenen Ringen und Kettenanhängern. Vielleicht werde ich mir eines Tages das eine oder andere Stück aus ihrer Kollektion gönnen.
Es macht richtig Spaß, zu sehen, wie die Bücherstapel im Trubel des Weihnachtsgeschäfts allmählich kleiner werden und die eine oder andere Lücke im Regal klafft, so dass wir bereits die ersten Bücher querstellen können.
Der Beruf der Buchhändlerin scheint keine Hexerei zu sein, denn man kann alles, was man nicht weiß, in irgendwelchen Katalogen nachschlagen. Man benötigt nur den Autorennamen oder den Titel, und schon geht es ruckzuck. Allerdings finde ich es persönlich ein wenig anstrengend, mit den vielen schweren Katalogen herumzuhantieren, wo doch alle relevanten Informationen leicht und schnell per Mausklick im Computer abrufbar wären. Aber um Technik aller Couleur macht Bea nach wie vor einen konsequenten Bogen.
Ich bin ja schon froh, dass es im Kapitänshaus wenigstens einen Fernseher und eine Stereoanlage gibt. Den Fernsehapparat hat meine Tante erst seit kurzem, da sie es bis dahin kategorisch abgelehnt hat, sich diesen »Mist« anzusehen, den sich (O-Ton Bea) »kranke Gehirne noch viel kränkerer Programmmacher ausgedacht haben, um die Menschheit endgültig zu verblöden«. Ich selbst sehe das nicht ganz so kritisch, weil ich gute Filme liebe und es auch schön finde, mich abends mal berieseln zu lassen. Gerade wenn ich Kummer habe oder mich allein fühle, ist derartige Unterhaltung ganz tröstlich. Auch wenn ein Buch natürlich dieselbe Funktion erfüllen kann.
Abends, nach dem Essen (Bea ist wirklich eine richtig gute Köchin geworden), sinke ich erschöpft auf das Sofa im Wohnzimmer oder kuschle mich, die Füße auf einem Schemel, an den Kachelofen. Dann beginnt der schönste Teil des Tages. Wir trinken Wein, schmusen mit Timo, unterhalten uns, lesen oder spielen Scrabble. Unsere Lieblingsbeschäftigung besteht jedoch darin, die Köpfe in Beas Reiseunterlagen zu stecken und immer und immer wieder die geplante Route durchzugehen.
Vero und sie starten in Hamburg, fliegen weiter nach Frankfurt und von dort nach Miami, wo sie an Bord der »Columbus« gehen werden. Die »Columbus« ist ein gediegenes Kreuzfahrtschiff der Mittelklasse, mit dem man innerhalb von 128 Tagen die ganze Welt bereisen kann. Die Tour erinnert mich ein wenig an eines meiner Kinderbücher, nämlich
In 80 Tagen um die Welt
von Jules Verne, das mir Bea damals schon mit großer Begeisterung vorgelesen hat. Vielleicht ist in jener Zeit der Entschluss in ihr gereift, eines Tages selbst die Welt zu erkunden? Zumindest haben Bea und Knut, seit ich sie kenne, immer recht sparsam gelebt und jeden Cent zurückgelegt, den sie übrig hatten, damit Bea sich eines Tages diesen Wunsch erfüllen kann.
Von Miami aus geht es weiter nach Acapulco, von dort über Honolulu nach Papeete, Sydney, Manila, Singapur und Dubai. Die letzte Station ist Venedig, wo die beiden ein paar Tage bleiben wollen, um sich wieder ein wenig in Europa einzuleben und sich dem Zauber von »La Serenissima«, der Lagunenstadt, hinzugeben. Wenn ich daran denke, werde ich immer ein wenig melancholisch, weil
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