Inselzauber
Umtauschaktionen tätigen wollen.
Birgit Stade hat das Kommando über fünf Schülerinnen, die in erster Linie mit Zählen beschäftigt sind, während Lisa und ich den Tagesbetrieb aufrechterhalten. Die Aushilfen hantieren mit endlos langen Papierlisten herum, und ich kann mal wieder nicht umhin, mich zu wundern, weshalb der Warenbestand nicht in irgendeiner Form elektronisch erfasst wird. Das ist mir mindestens ebenso rätselhaft wie das für mein Empfinden völlig antiquierte System der sogenannten Buchlaufkarten, die darüber Auskunft geben sollen, wann und in welcher Stückzahl die einzelnen Titel eingekauft wurden.
Laut Beas System wird jedes neu eingetroffene Buch mit einer solchen Karte versehen und dann ins Regal gestellt. Anhand dieser Karte werden wiederum Nachbestellungen getätigt, es sei denn, sie geht verloren. Dann kann es passieren, dass auf einmal Klassiker wie
Das Geisterhaus
oder Hesses
Steppenwolf
fehlen. Natürlich macht es den Keitumer Kunden meist nichts aus, wenn wir das Buch für sie bestellen müssen, aber Touristen zum Beispiel – ein nicht ganz unerheblicher Anteil von Beas Kunden – sind da weniger flexibel. Ihre Buchwünsche müssen sofort erfüllt werden, und wenn wir das Buch nicht haben, hat es eben die Konkurrenz.
Für dieses Problem muss es doch eine andere Lösung geben, grüble ich, während ich den Kartenstapel durchsehe, der sich am Silvestertag angesammelt hat. So arbeiten wir alle vor uns hin und sind froh um jeden Kunden, der uns in Ruhe lässt. Am späten Vormittag organisiere ich für alle zur Stärkung belegte Brötchen und bin ehrlich gesagt froh, als Leon irgendwann auftaucht und unsere stupide Tätigkeit unterbricht.
»Oh, Inventur, wie schön!«, erfolgt sogleich der entsprechende Kommentar, begleitet von einem breiten Grinsen.
»Dir auch ein frohes neues Jahr, Leon«, kontere ich und lege meine Liste beiseite. »Na, wie war die Party im Samoa-Seepferdchen?«
»Ganz nett«, antwortet er gedehnt, während er seine Zeitschriften auf den Tresen legt. »Wir haben bis vier Uhr morgens gefeiert. Und du? Wie hast du diesen denkwürdigen Abend verbracht? Gestern am Telefon warst du ja nicht sehr gesprächig!«
Ich schildere ihm also meinen Abend, auch die seltsame Nacht mit Nele, und Leon hört konzentriert zu. Bei der Erwähnung von Neles Namen zucken seine Mundwinkel leicht, worüber ich jedoch nicht weiter nachdenke.
»Ach, deshalb war sie nicht auf der Party, ich habe mich schon gewundert«, kommentiert er meine Schilderungen, wobei ich es vermeide, ihm zu erzählen, was der genaue Grund für Neles Kummer ist. In solchen Dingen bin ich immer sehr diskret. »Na, dann scheinst du ja einen netten Abend gehabt zu haben. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, dass du deprimiert zu Hause sitzt und dir die Decke auf den Kopf fällt. Stattdessen hast du offensichtlich eine neue Freundin gewonnen, und das ist das Beste, was dir momentan passieren kann.«
Ja, genau, denke ich, wobei ich nach wie vor mit der Formulierung »Freundin« meine Schwierigkeiten habe. Ich finde nicht, dass man gleich »befreundet« ist, nur weil man zwei Abende hintereinander ein wenig geplaudert hat. Bis man mein Herz nachhaltig erobert, muss schon einiges mehr geschehen!
»Wann sehen wir beiden uns mal wieder? Ich meine außerhalb dieser vier Wände hier?«, fragt Leon, während ich seine Einkäufe boniere.
Wie gut, dass es wenigstens keine Zeitschriftenlaufkarten gibt – das hätte mir noch zu meinem Glück gefehlt! »Keine Ahnung«, antworte ich zögernd, weil ich gar nicht recht weiß, ob ich Lust darauf habe, mich mit ihm zu treffen. Sicher, er ist ganz nett und vermutlich wegen Bea darum bemüht, freundlich zu mir zu sein. Doch ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Julia es besonders witzig findet, wenn wir uns zum Abendessen treffen. Das mit dem Kaffee neulich war etwas anderes, weil es sich spontan ergeben hatte. Doch Leon lässt gar nicht zu, dass ich ihm eine Abfuhr erteile. Er lädt mich für den folgenden Abend zu einer Lesung im Kamphuis ein, und diese Einladung kann ich einfach nicht ablehnen.
Schließlich sind Lesungen und kulturelle Veranstaltungen aller Art eine Pflichtübung für angehende Buchhändlerinnen wie mich! Wir verabreden uns also und beschließen, nach der Lesung noch ein Glas Wein trinken zu gehen. Mit dieser Form von Rendezvous kann ich leben und bin eigentlich auch ganz froh über den unerwarteten Ortswechsel, denn die letzten beiden Wochen habe ich fast
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