Inselzauber
Glas in einem Zug, was Nele mit einem leichten Lächeln quittiert.
»Ja, das habe ich«, antwortet sie und trinkt ebenfalls. »Und er sich auch in mich. Das Problem war nur, dass er …«
»… verheiratet war«, vervollständige ich ihren Satz. Wie sonst könnte es gewesen sein?
»Richtig«, antwortet sie und streichelt Blairwitch, die sich nun wieder zu uns gesellt hat. »Außerdem hatte er zwei kleine Kinder, also das volle Programm! Seine Frau hat sich natürlich irgendwann darüber gewundert, dass Gregor kaum noch zu Hause war. Als sie dann eine SMS von mir in die Finger bekommen hat (an dieser Stelle zucke ich zusammen), war der Ofen endgültig aus (was ich sehr gut nachvollziehen kann). Sie hat Gregor gezwungen, sich zwischen seiner Familie und mir zu entscheiden. Sie hat ihm mit Scheidung gedroht und damit, ihm das Sorgerecht für die Kinder zu entziehen. Zu guter Letzt hat Gregor natürlich nachgegeben.«
»O nein, wie furchtbar«, sage ich mitfühlend, weil ich es immer traurig finde, wenn Menschen, die sich eigentlich lieben, nicht zusammen sein können.
Doch Nele lässt sich durch meinen Einwurf nicht irritieren und erzählt weiter. »Obwohl Gregor zu seiner Frau zurückgekehrt ist, ist sie nicht mit der Tatsache klargekommen, dass wir uns im Rahmen des Studiums immer noch gesehen haben, und ist immer wunderlicher geworden.«
»Was meinst du mit wunderlich?«, frage ich, gespannt zu hören, was da noch kommt.
»Seine Frau ist depressiv geworden und musste schließlich sogar in psychologische Behandlung. In ihren schlimmen Phasen hat sie mich nachts angerufen und beschuldigt, ihre Familie und ihr persönliches Glück auf dem Gewissen zu haben.«
»O mein Gott«, rufe ich und spiele aufgeregt mit meinem Glas. Das klingt ja alles sehr, sehr abenteuerlich. »Wie hast du reagiert?«
»Anfangs konnte ich noch einigermaßen damit umgehen«, antwortet Nele, »doch dann begann sie mir telefonisch zu drohen. Eines Abends stand sie plötzlich vor meiner Tür und flehte mich an, aus Hamburg und aus dem Leben ihres Mannes zu verschwinden. Ihr Lebensglück hinge davon ab, sagte sie und sah mich dabei so flehentlich an, dass es mir trotz meines eigenen Kummers fast das Herz zerriss.«
»Da hast du dann beschlossen, dich hierher zu verkrümeln«, sage ich und kann nicht umhin, Nele ein wenig seltsam zu finden. Nett und unterhaltsam, aber irgendwie auch ein bisschen anstrengend!
»Genau! Ich habe von einer Freundin gehört, die gerade Urlaub auf Sylt gemacht hat, dass in Keitum ein schöner Laden zu vermieten war. Als ich ihn besichtigte, habe ich mich auf der Stelle in die Insel verliebt.«
»Woher hattest du das Geld für das alles hier?«, erkundige ich mich.
»Zum einen hatte ich etwas gespart, zum anderen habe ich eine Existenzgründungsförderung bekommen. Karin und ich haben es geschafft, den Leuten von der Behörde klarzumachen, dass ich ansonsten auf lange Sicht vermutlich eine ewig arbeitslose Illustratorin ohne Abschluss sein werde. Dann haben wir ein Konzept für die Bank erstellt und auf dieser Basis alles über einen Kredit finanziert.«
»Wo ist Karin jetzt?«, hake ich nach. »Hat sie Urlaub oder so was?«
»Nein«, antwortet Nele düster. »Sie ist vor drei Monaten ausgestiegen, weil sie keine Lust mehr hatte. Sie hat sich im Sommer in einen reichen Hamburger Schnöselanwalt verliebt und ist mit ihm über alle Berge.«
»Seitdem steckst du in Schwierigkeiten?«, frage ich mitleidig.
»Genau. Karin hat mir zwar noch eine kleine Abfindung gezahlt, aber das Café alleine zu finanzieren ist alles andere als leicht. Tja, gestern habe ich einen Brief von der Bank bekommen, dass mein Kredit nicht aufgestockt werden kann, und dazu eine Mahnung meines Vermieters mit der Drohung, mich hinauszuwerfen, wenn ich nicht innerhalb von zwei Monaten die Pacht bezahle.«
»Deshalb bist du gestern nicht mit den anderen zur Samoa-Party gegangen, stimmt’s?«, mutmaße ich.
Nele nickt. »Nach DER Post war mir einfach nicht nach Feiern zumute. Weshalb warst du nicht dort? Leon hat dich doch eingeladen – zumindest hat er mir das gesagt.«
Ich überlege, ob ich ehrlich antworten soll, und entscheide mich für die Wahrheit. »Zum einen, weil ich zurzeit selbst nicht gerade ein Ausbund an guter Laune bin, und zum anderen, weil ich die Aussicht darauf, einen Abend mit dir zu verbringen, nicht so animierend fand. Nicht nach DER Begegnung, die wir vor ein paar Tagen hatten«, sage ich.
Nele legt den Kopf leicht
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