Inselzauber
denn plötzlich erleide ich angesichts der vielen fremden Menschen einen eigentümlichen Schüchternheitsanfall.
»Für meinen Geschmack leider etwas zu häufig«, antwortet er und beginnt dann netterweise mit der offiziellen Vorstellungsrunde.
Neben der Pressereferentin, die auf den Namen Isabell von der Gathen hört, und Elisabeth Fahrenkroog, Marco Nardis Lektorin, hat sich auch noch Tilman Luckner, der Marketingchef der Sylter Quelle, zu uns gesellt, der mir bei der Lesung gar nicht aufgefallen ist. Wir lächeln einander höflich an, und ich bemerke aus den Augenwinkeln, wie Marco Nardi die Szene amüsiert betrachtet. Für einen Debütanten wie ihn muss es ein komisches Gefühl sein, derart umgarnt zu werden, als hätte er bereits mehrere Bestseller geschrieben.
Während wir alle die Speisekarte studieren, werden auch schon die berühmten Sansibar-Vorspeisen serviert. Sie sind im Preis enthalten, weshalb das Essen hier auch so teuer ist: getrocknete Tomaten, eingelegte Oliven, marinierter Schafskäse, Lauchsalat, Krabbencocktail und eine beachtliche Brotauswahl. Was mich betrifft, so wäre ich allein schon hiermit glücklich und bräuchte nichts weiter.
Der Tisch ist über und über gefüllt mit Köstlichkeiten, die rustikal in großen Einmachgläsern serviert werden, aus denen ein jeder sich selbst bedient. Ich amüsiere mich über den Kontrast, den das simple Interieur zu den Gästen bildet, die sich teilweise herausgeputzt haben, als säßen sie beim Kapitänsdinner an Bord der »Queen Mary«. Wenn man mal ehrlich ist, dann ist die Sansibar nichts weiter als eine unterkellerte Bretterbude am Strand.
Sitzt man im Winter zu nah an einem der Fenster, zieht es derart, dass man sich auf der Stelle in eine Sauna wünscht. Die Kellnerinnen sind gekleidet, als wollten sie entweder zum Trekking oder in die Disco, und ich schaudere angesichts unserer Kellnerin Maria und ihres bauchfreien Tops, das eine nicht wirklich gelungene Tätowierung offenbart. Es gehört hier zum guten Ton, sich zu duzen, als hätte man in Kindertagen zusammen in der Sandkiste gespielt.
Was soll’s?, denke ich und träufle etwas Olivenöl auf mein Weißbrot. Eigentlich ist es nett, hier zu sein und in Ruhe ein paar Sozialstudien zu betreiben. Isabell von der Gathen hat Marco Nardi komplett mit Beschlag belegt, und Leon unterhält sich angeregt mit der Lektorin und Tilman Luckner. Um mich kümmert sich niemand, was mir ganz recht ist. Maria nimmt nun der Reihe nach unsere Bestellungen auf, auch wenn mir unklar ist, wie man jetzt noch etwas essen kann. Vor allem, weil ich die Portionen hier kenne.
Um den Gepflogenheiten des Restaurants gerecht zu werden, kommen wir nicht darum herum, das obligatorische Glas Champagner zu trinken. Irgendwie scheint es ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass keiner diese Bretterbude verlassen darf, ohne mindestens ein Glas davon zu sich genommen zu haben. So trinke ich zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage Champagner. Na ja, es könnte schlimmer kommen …
Gemeinsam stoßen wir auf das Wohl des Autors an und wünschen ihm schon mal eine erfolgreiche Zeit als Inselschreiber. Ich persönlich bin gespannt, wie der Halbitaliener sich in die Reihe der bisherigen Autoren einfügt.
»Hat eigentlich schon mal eine Frau den Preis gewonnen?«, höre ich mich zu meiner eigenen Überraschung fragen.
»Aber natürlich!«, entgegnet Tilman Luckner, beinahe empört, und beugt sich zu mir herüber.
»Na, dann bin ich ja beruhigt«, antworte ich, was Marco Nardi zu einem Lächeln animiert.
»Ist Ihnen das Verhältnis ausgewogen genug?«, erkundigt Luckner sich, und mir ist das Ganze ein wenig peinlich.
»Welche Autoren, pardon Autorinnen bevorzugen Sie denn?«, erkundigt sich Marco Nardi.
Ich fühle mich ein wenig durch seinen Samtblick irritiert. Dieser Mann ist wirklich mehr als attraktiv! Rasch zähle ich auf, was mir spontan einfällt – auch wenn es ausschließlich Autorinnen sind.
»Bücher von Männern lehnen Sie wohl kategorisch ab?«, fragt Marco Nardi amüsiert, während sich nun alle Blicke auf mich richten.
»Habe ich den Eindruck erweckt, eine Männerhasserin zu sein, nur weil ich sichergehen wollte, dass der Inselschreiber-Preis nicht ausschließlich an die Herren der Literaturszene vergeben wird? Im Grunde genommen ist es mir egal, von wem die Bücher stammen. Mir ist es wichtig, dass sie mir Geschichten erzählen, die ich noch nicht kenne. Wenn sie mir einen anderen Blick auf die Welt eröffnen,
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