Inselzauber
findet es gut, wenn endlich mal etwas passiert, was zur Klärung der Situation beiträgt, der andere hat enorme Angst davor, etwas Schlimmes vorzufinden. »Darf man das denn überhaupt?«, füge ich zaghaft hinzu, als Leon sich ans Werk macht.
Im Film reicht oft eine Kreditkarte, denke ich, während ich gebannt verfolge, ob Leons Einbruchsversuch fruchtet.
»Nein, darf man nicht«, lautet seine knappe Antwort, während er verschiedene Werkzeuge ausprobiert.
Anscheinend ist Neles Wohnung besser gesichert, als wir beide vermutet haben. Nach einer schier endlosen Weile, innerhalb derer ich immer wieder versuche, sowohl meinen Puls als auch Timo unter Kontrolle zu bringen, der es natürlich langweilig findet, im Hausflur herumzusitzen, klappt es endlich und die Tür ist offen.
Ich ertappe mich dabei, als Erstes zu schnuppern, ob der Geruch einen Hinweis darauf gibt, dass sich in diesen Räumen seit Tagen eine Tote befindet. Doch zu meiner Erleichterung ist dem nicht so, auch wenn der sich uns bietende Anblick nicht besonders vertrauenerweckend ist: Sämtliche Schubladen stehen offen, ebenso die Schranktüren. In Neles Schlafzimmer, aber auch im Badezimmer sieht es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen.
Einbruch? Entführung?, überlege ich zitternd, während Leon und ich uns stumm umsehen. Timo haben wir draußen angebunden, damit er uns nicht vor den Füßen herumwuselt und uns noch nervöser macht, als wir es ohnehin schon sind.
»Ich sehe mal oben nach«, sagt Leon, als feststeht, dass zumindest hier unten keine tote Nele liegt.
Schlotternd vor Angst folge ich ihm und stolpere vor Aufregung beinahe über meine eigenen Füße. »Und? Ist sie da oben?«, frage ich zaghaft und bin erleichtert zu hören, dass Leon klar und deutlich verneint.
Während wir uns auf der Galerie umsehen (hier ist übrigens alles ganz ordentlich), ertönt im Treppenhaus auf einmal Timos Gebell. Sicher ein Nachbar, der ihn gerade streichelt, denke ich, während ich zeitgleich unten ein Geräusch vernehme: das Quietschen einer Tür. Leon und ich sehen uns an, und ich bin froh, dass er die Initiative übernimmt und forschen Schrittes die Treppe nach unten geht. Mein Herz klopft immer noch wie wild, und ich muss mich am Geländer festhalten, um nicht zu stürzen. Diese Geschichte ist eindeutig nichts für meine schwachen Nerven!
»Sag mal, bist du wahnsinnig?«, vernehme ich auf einmal Leons wütende Stimme.
Sofort habe ich die Befürchtung, dass der Hund draußen etwas angestellt hat. Vielleicht hat er dem Ficus im Flur den Garaus gemacht?
»Wie kannst du einfach ohne irgendeine Erklärung verschwinden?«, höre ich und habe allmählich den Verdacht, dass es nicht Timo ist, mit dem Leon da schimpft. Wenn es nicht der Hund ist, dann kann es nur …
»Nele«, rufe ich erleichtert und fliege der Heimgekehrten in der nächsten Sekunde um den Hals.
»Was ist denn hier los? Könnt ihr mir mal sagen, was ihr hier tut?«, fragt Nele und mustert uns beide verärgert.
»Was glaubst du wohl, was wir hier tun?«, entgegne ich kühl, weil ich nicht glauben kann, dass Nele hier einfach so mir nichts, dir nichts hereinspaziert, als sei nichts geschehen.
»Wir haben uns Sorgen um dich gemacht«, erklärt Leon.
Ich nicke bekräftigend, während Nele ihren Koffer abstellt und den Katzenkorb öffnet, in dem die maunzende Blairwitch sitzt.
»Wieso Sorgen? Ich verstehe nicht«, antwortet Nele, nun offensichtlich verunsichert. »Ich war bloß eine Woche weg. Das ist doch kein Grund, in meine Wohnung einzubrechen.«
»Wo warst du denn die ganze Zeit, und warum hast du dich nicht gemeldet?«, mische ich mich ein und habe das Gefühl, mich mitsamt meinen Fragen gleich zu überschlagen.
»Ich war bei meinen Eltern in Bremen, das habe ich dir doch geschrieben«, erklärt Nele.
Nun bin ich völlig verwirrt.
»Ich habe einen Brief mit der Nachricht, dass ich erst mal ein paar Tage Auszeit brauche, um nachzudenken, in der Bücherkoje auf den Tresen gelegt, weil ich weder Frau Stade noch dich gefunden habe und schnell zum Bahnhof musste. Hast du ihn denn nicht gesehen?«
Nein, denke ich, ich habe keinen Brief gesehen. Ich wünschte, es wäre der Fall, dann hätten wir uns das alles hier sparen können.
»Warum hast du denn nicht wenigstens auf meine Nachrichten und SMS reagiert?«, frage ich und sehe Leon hilflos an, der verlegen von einem Fuß auf den anderen tritt.
»Mein Handy ist abgeschaltet, weil ich die Rechnung nicht mehr bezahlen konnte. Es
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