Inselzauber
sprechen, schließlich war dieses Thema in den vergangenen Tagen präsent genug.
»Köstlich«, kommentiert Marco sein Birnensoufflé, während ich in einer Zitronenzabaione schwelge.
Ich genieße es, dass er ein Gourmet ist, denn ich mag es sehr, bei schönem Essen in Begleitung eines guten Weins intensive Gespräche zu führen.
»Okay, ich sehe schon, wir lassen das Thema Buchhandlung lieber. Sprechen wir über etwas anderes«, schlägt Marco vor, und ich bin dankbar, dass er mich nicht weiter drängt. Also plaudern wir den Rest des Abends über Bücher, über Sylt und über das Leben. Ich erzähle ihm von meinem Wunsch, im September nach Venedig zu fahren, und lasse mir ein paar Tipps geben. Auch Marco ist ein großer Venedig-Fan.
»Ich finde diese Stadt allerdings im November am schönsten, wenn die Touristen weg sind. Dann ist es zwar kalt und neblig, aber die Serenissima zeigt ihr wahres Gesicht. Kennst du den Film
Wenn die Gondeln Trauer tragen
mit Donald Sutherland und Julie Christie? Er basiert auf der Kurzgeschichte
Venedig kann sehr kalt sein
von Daphne du Maurier. Solltest du unbedingt mal lesen!«
Ich erinnere mich vage an den Film, der sehr traurig ist. Es geht um ein Ehepaar, dessen Kind gestorben ist und das nach Venedig reist, um mit diesem tragischen Verlust fertig zu werden. Irgendwie scheint diese Stadt stark mit dem Thema Tod verknüpft zu sein. Dieser Film, Thomas Manns
Tod in Venedig,
die letzte Reise, die ich mit meinen Eltern vor deren Unfall unternommen habe … Ich nehme einen weiteren Schluck Wein und wehre mich dagegen, melancholisch zu werden. Schließlich ist so eine Reise etwas, worauf man sich freuen sollte. Und dass ich dorthin fahren werde, ist mir nach dem Gespräch mit Marco noch klarer geworden als je zuvor.
Gegen Mitternacht stellen wir fest, dass wir die letzten Gäste sind. Die Kellner decken bereits für den nächsten Tag ein und hüsteln gelegentlich bedeutungsvoll.
»Ich glaube, wir sollten jetzt aufbrechen«, sagt Marco und geht nach vorne, um diskret die Rechnung zu bezahlen.
Ein echter Gentleman, denke ich, während wir das Restaurant verlassen und zum Wagen gehen.
»Oder hättest du gern noch einen Digestif an der Bar genommen?«, fragt Marco und lässt sicherheitshalber die Wagentür offen.
»Nein danke«, antworte ich. »Das war ein wunderschöner Abend und, was mich betrifft, hoffentlich nicht der letzte mit dir«, sage ich, während Marco nickt, und freue mich darauf, bald in mein Bett zu sinken, um dort in Ruhe über meine Venedig-Reise nachdenken zu können. Denn dazu habe ich nun auf alle Fälle den nötigen Anstoß bekommen.
»Und, wie war’s?«, fragen am nächsten Tag sowohl Bea (erste Worte am Morgen) als auch Nele, die sogar noch vor der Öffnung des Möwennests einen kleinen Abstecher in die Bücherkoje macht.
»Schön«, antworte ich beiden einsilbig, weil ich momentan nicht das Bedürfnis habe, irgendeine meiner Empfindungen und Überlegungen, die mich seit gestern nahezu überfluten, zu teilen. Dieser Abend war MEIN Abend und ist durch die Themen, die wir berührt haben, weitaus mehr gewesen als ein romantisches Rendezvous mit einem attraktiven Mann.
»Okay, du magst jetzt nichts erzählen, ich sehe schon«, sagt Nele beleidigt, aber auch amüsiert. »Dann muss es ja eine ganz große Sache gewesen sein. Deine Haare sehen übrigens toll aus. Und du auch!«, ruft sie mir im Hinausgehen zu. »Komm einfach rüber, wenn du dich ausgeschwiegen hast und doch noch etwas erzählen willst!«
»Mach ich«, rufe ich meiner Freundin hinterher und begrüße Leon, der sich quasi mit Nele die Klinke in die Hand gibt.
»Was hast du denn für ein großes Geheimnis?«, fragt nun auch Leon neugierig und zwinkert mir zu. Doch so scheinbar fröhlich diese Geste auch wirkt, so traurig scheint er in Wirklichkeit zu sein. Unter seinen sonst strahlend blauen Augen liegen tiefe, dunkle Schatten. Er ist blass und sieht aus, als hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen.
»Nichts Besonderes«, wiegle ich ab, »du kennst doch Nele. Die wittert immer und überall irgendetwas. Aber was ist mit dir los? Du siehst heute, entschuldige, wenn ich das so direkt sage, nicht besonders gut aus!«
Leon schluckt einen Moment und blättert verlegen in seinem Pressespiegel. »Stimmt«, antwortet er schließlich, nachdem er offensichtlich darüber nachgedacht hat, wie ehrlich er mir gegenüber sein kann. »Mir geht es wirklich nicht gut, weil Julia und ich uns gestern getrennt
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