Inselzauber
gewagt hat, auch wenn das Meer derzeit noch sehr kalt ist, einen Wellness-Tag eingelegt hat und offenbar viel am Strand spazieren gegangen ist.
»Ach was, darüber mache ich mir keine Gedanken«, verteidigt er seinen Müßiggang. »Das verstehe ich unter Akklimatisierung. Das Schreiben kommt ganz von allein. Wenn du allerdings in drei Wochen immer noch solche Geschichten von mir hörst, darfst du dich um mich sorgen.«
Müsste ich das? Ist das nicht ein wenig eingebildet? Denkt Marco etwa, dass ich mich so viel mit ihm beschäftige? Ich fühle eine kleine Irritation in mir aufsteigen, gepaart mit der Freude darüber, dass er offensichtlich plant, in drei Wochen noch Kontakt zu mir zu haben.
Während des Hauptgangs (Babysteinbutt auf Chablis-Gemüse für mich, Lammrücken mit grünen Bohnen für ihn) erzählen wir uns, woher wir kommen und wie es uns nach Sylt verschlagen hat. Marco ist Sohn einer deutschen Mutter, die als Designerin nach Mailand gegangen ist und dort einen Anwalt geheiratet hat. Nach seiner Kindheit und Jugend in Italien ging er nach München, um dort Journalismus zu studieren. Während des Studiums entdeckte er sein Talent fürs freie Schreiben und kam durch private Kontakte in die Verlagsbranche relativ schnell und problemlos zu einem Buchvertrag für seinen Erstling.
»Nun hast du dich also entschlossen, das Studium an den Nagel zu hängen und dein Geld als Schriftsteller zu verdienen?«, frage ich und halte das für eine sehr radikale und mutige Entscheidung. Wenngleich sicher die richtige, denn nach der Lektüre seines Buches bin ich überzeugt davon, dass Marco wirklich talentiert ist. Bea, der ich
Jenseits der Grenze
zu lesen gegeben habe, ist derselben Ansicht, dabei ist sie eine äußerst kritische Leserin.
»Tja, mal sehen, wie die Dinge sich so entwickeln«, antwortet Marco nachdenklich und bricht ein Stück von dem goldgelben Baguette ab, das in einem silbernen Körbchen liegt. »Das Wichtigste ist jetzt erst einmal, dass ich die Zeit hier nutze, um an meinem neuen Buch zu arbeiten. Aber jetzt sprechen wir mal von dir. Wie sieht es mit deinen Plänen aus? Bist du froh über deine Entscheidung, länger als geplant hierzubleiben, oder zieht es dich wieder zurück nach Hamburg?«
Gute Frage, denke ich und trinke einen Schluck Wein, um Zeit zu gewinnen. Meine Zukunftspläne sind die kardinale Frage, vor der ich nach wie vor davonlaufe, wenn ich ehrlich bin. Ich hangle mich von Tag zu Tag und vertraue darauf, dass sich schon alles irgendwie fügen wird. Die neue Aufgabe in der Bücherkoje motiviert mich, doch es handelt sich dabei nur um eine Übergangslösung, das muss ich mir immer wieder klarmachen. Ich versuche, Marco meine Situation so knapp wie möglich zu schildern, weil ich nicht so viel Aufmerksamkeit auf mich ziehen will.
»Kannst du dir nicht vorstellen, als Buchhändlerin zu arbeiten und vielleicht eines Tages die Bücherkoje zu übernehmen? Deine Tante ist schließlich nicht mehr ganz jung, und da sie offenbar keine Kinder hat, wäre es doch naheliegend, das Geschäft an dich zu übergeben?«, fragt Marco.
Ich verschlucke mich fast an meinem Wein. Die Buchhandlung übernehmen? Der Gedanke ist mir wahrlich noch nie gekommen, und ich kann mir auch beim besten Willen nicht vorstellen, dass Beas Überlegungen irgendwie in diese Richtung gegangen sein könnten. Die Bücherkoje ist ihr Ein und Alles, und sie wird sie leiten bis zum letzten Atemzug, da bin ich mir ganz sicher. Wenn sie die Buchhandlung jemals an jemanden übergibt, dann mit Sicherheit an Birgit Stade, die ausreichend Erfahrung hat und wesentlich jünger ist als meine Tante.
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen«, antworte ich. »Bea ist mit Leib und Seele mit diesem Laden verbunden. Sobald sie gesund ist, wird sie das Ruder wieder übernehmen. Sie leidet jetzt schon sehr, weil sie zur Untätigkeit verdammt ist.«
»Hat sie denn nichts anderes, womit sie sich beschäftigen kann?«, erkundigt sich Marco.
»Nur wenig. Meine Tante ist eine Macherin und es nicht gewohnt, dass andere Leute etwas tun, wofür sie sonst selbst zuständig ist. Nun sitzt sie den ganzen Tag da, kann sich kaum bewegen und wird nörgelig. Schließlich kann sie nicht den ganzen Tag nur lesen oder Hörbücher hören. Sie braucht dringend eine Aufgabe, doch die hat sie derzeit nicht. Ich hoffe, dass sie bald wieder gesund wird.«
Ich bin froh, als der Kellner das Dessert serviert, weil ich keine Lust mehr habe, über die Bücherkoje zu
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